Vertriebene Palästinenser verlassen mit ihren Habseligkeiten den östlichen Teil von Chan Junis im südlichen Gazastreifen.

Warnung vor massiven Angriffen Israel fordert Menschen in Süd-Gaza zur Flucht auf

Stand: 27.05.2025 02:21 Uhr

Israels Militär droht mit neuen, "beispiellosen" Angriffen im Gazastreifen. Die Menschen in großen Gebieten sollen flüchten. Derweil kommt es in Jerusalem zu Spannungen, die der rechtsextreme Minister Ben-Gvir anheizt.

Das israelische Militär bereitet nach eigener Aussagen einen "beispiellosen Angriff" auf ein großes Gebiet im südlichen Gazastreifen vor und ruft deswegen die Menschen dort zur Flucht auf. Das Militär werde beginnen, gegen Terrororganisationen vorzugehen, hieß es in einem in arabischer Sprache veröffentlichten Aufruf

Laut einer vom Militär veröffentlichten Karte umfasst der Fluchtaufruf die Großstädte Chan Junis, Rafah und alle weiteren Orte im Süden des Gazastreifens bis auf Al-Mawasi. 

Der kleine Ort Al-Mawasi wurde von Israels Militär schon vor längerem als "humanitäre Schutzzone" ausgewiesen. Berichten zufolge soll es jedoch auch dort bereits zu israelischen Angriffen gekommen sein. Die meisten Vertriebenen leben dort in Zelten.

Israel nennt Beschuss aus Süd-Gaza als Begründung

Die Armee hatte bereits kürzlich die Palästinenser in Rafah und Chan Junis aufgefordert, das Gebiet zu verlassen. Die nun erfolgte Warnung gilt auch für die angrenzenden Gebiete Bani Suhaila, Abasan und Al-Qarara. Die Fluchtaufforderung gelte derweil nicht für die Nasser-Klinik und das Al-Amal-Krankenhaus in Chan Junis, so das Militär.

Aus Chan Junis, der zweitgrößten Stadt im Gazastreifen, wurden zuletzt sehr viele Tote gemeldet. Der Ort gelte "als gefährliches Kampfgebiet", teilte die israelische Armee erneut mit. Terrororganisationen feuerten weiterhin Raketen aus den vom Fluchtaufruf betroffenen Gegenden ab, hieß es zur Begründung. Das Militär hatte am Morgen Beschuss aus Süd-Gaza gemeldet.

Konfliktparteien als Quelle
Angaben zu Kriegsverlauf, Beschuss und Opfern durch Konfliktparteien können in der aktuellen Lage zum Teil nicht unmittelbar von unabhängiger Stelle überprüft werden.

Offenbar wieder viele Tote durch israelische Angriffe

Laut dem von der Hamas kontrollierten Zivilschutz kamen seit der Nacht mindestens 60 Palästinenser bei Angriffen Israels ums Leben. Israels Luftwaffe griff eigenen Angaben zufolge in der Nacht eine Kommandozentrale der Hamas in einem ehemaligen Schulgebäude in der Stadt Gaza an, die im Norden des Küstenstreifens liegt.

Die palästinensische Nachrichtenagentur Wafa meldete, in dem Gebäude seien Vertriebene untergebracht gewesen. Der Angriff habe massive Brände ausgelöst, Zelte auf dem Gelände hätten Feuer gefangen und viele Menschen schwere Verbrennungen erlitten. Auch Minderjährige sollen unter den Todesopfern sein.

Der Angriff habe Terroristen der Hamas und des Islamischen Dschihad gegolten, die dort Anschläge auch auf israelische Zivilisten geplant hätten, teilte die israelische Armee weiter mit.

Karte mit Israel, Gazastreifen, Gaza-Stadt und Chan Junis

Stiftung beginnt mit Verteilung von Hilfsgütern

Ein neuer Mechanismus zur Verteilung von Hilfsgütern im Gazastreifen soll begonnen haben. Die neu gegründete Stiftung Gaza Humanitarian Foundation (GHF) hat nach eigenen Angaben mit der Verteilung erster Hilfsgüter begonnen. Bis zum Ende der Woche sollen die Hilfsmittel laut der Mitteilung eine Million Palästinenser erreichen - etwa die Hälfte der Bevölkerung des Gazastreifens. Zuvor hatte es Berichte gegeben, dass sich der Start aus logistischen Gründen weiter verschieben werde.

Mit dem neuen Mechanismus zur Verteilung der Hilfsgüter will Israel eigenen Angaben nach verhindern, dass die Terrororganisation Hamas von den Lieferungen profitiert. Die UN sehen den neuen Mechanismus kritisch und sogar der bisherige GHF-Chef, Jake Woods, hält es Berichten zufolge nicht für möglich, den unter seiner Führung entwickelten Plan umzusetzen und gleichzeitig "die humanitären Prinzipien der Menschlichkeit, Neutralität, Unparteilichkeit und Unabhängigkeit" zu wahren. Er kündigte seinen Rücktritt an.

Widersprüchliche Nachrichten zu Waffenruhe-Plan

Die Hamas hat Kreisen zufolge einem Gaza-Abkommen des US-Sondergesandten zugestimmt - laut einem Bericht hat Steve Witkoff diese Darstellung jedoch zurückgewiesen. Was er von der Hamas gesehen habe, sei "enttäuschend und völlig inakzeptabel", zitierte Barak Ravid, ein in der Regel gut informierter Journalist der US-Nachrichtenseite Axios, aus einem Gespräch mit Witkoff. Israel habe dem Witkoff-Plan bereits zugestimmt.

Witkoff hatte in der Vergangenheit Pläne vorgeschlagen, deren Entwürfe die Freilassung aller im Gazastreifen verbliebenen Entführten und Leichen von Geiseln in zwei Etappen mit einer längeren Waffenruhe dazwischen vorsahen. Für ein vollständiges Kriegsende fordert Israel die komplette Entwaffnung der Hamas.

Angriffe jüdischer Nationalisten in Jerusalem

Beim jährlichen Flaggenmarsch jüdischer Nationalisten durch Jerusalem ist es zu Tumulten gekommen. In der von Mauern umgebenen Altstadt in Ost-Jerusalem haben Teilnehmer zunächst die wenigen palästinensischen Ladenbesitzer bedrängt, die ihre Geschäfte vor dem Umzug noch nicht geschlossen hatten, wie ein Augenzeuge der Nachrichtenagentur Reuters schilderte.

Die Demonstranten, überwiegend junge Siedler aus dem besetzten Westjordanland, hätten anschließend linke israelische Aktivisten und Journalisten angegriffen, die den Umzug beobachteten. Sie skandierten nationalistische Parolen und riefen "Tod den Arabern". Die israelische Polizei, die sich in der Nähe aufhielt, habe nicht eingegriffen. Ein Polizist vor Ort sagte, die jungen Teilnehmer könnten nicht verhaftet werden, weil sie unter 18 Jahre alt seien.

Zum "Marsch der Fahnen", der jährlich stattfindet und an die Eroberung Ost-Jerusalems im Sechs-Tage-Krieg 1967 erinnert, werden Tausende Teilnehmer erwartet. In der Vergangenheit kam es bereits häufig zu Ausschreitungen.

Ben-Gvir erneut auf dem Tempelberg

Der rechtsextreme israelische Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir, der auch für die Polizei verantwortlich ist, besuchte zu Beginn der Feierlichkeiten den Tempelberg und betete dort laut eigener Aussage "für den Sieg im Krieg, für die Rückkehr aller unserer Gefangenen und für den Erfolg des neu ernannten Schin-Bet-Chefs, David Zini". Er teilte ein Video mit der Al-Aksa-Moschee im Hintergrund - sie ist die drittheiligste Stätte des Islams weltweit.

Jordanien, das die heiligen Stätten auf dem Tempelberg verwaltet, kritisierte die Aktion des israelischen Ministers. Ben-Gvir hat in der Vergangenheit wiederholt den Tempelberg besucht und sich über das von der israelischen Regierung verhängte dortige Gebetsverbot hinweggesetzt.

Einige israelische Teilnehmer des umstrittenen Marsches drangen nach Angaben des Jerusalemer Gouvernements der Palästinensischen Autonomiebehörde in das Gelände des Hauptquartiers des UN-Palästinenserhilfswerks UNRWA in Ost-Jerusalem.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 26. Mai 2025 um 20:00 Uhr.