Bundespolizisten führen nahe der deutsch-tschechischen Grenze eine Person in einen Polizei-Container.

Zurückweisungen an Grenzen Machen sich Polizisten strafbar?

Stand: 20.06.2025 08:57 Uhr

Innenminister Dobrindt will durch Zurückweisungen an der Grenze die Migration eindämmen. Die Gewerkschaft der Polizei befürchtet einen Rechtsbruch. Das sorgt für Verunsicherung und Ablehnung - auch bei Polizisten.

Von Julia Cruschwitz, Albrecht Radon und Edgar Lopez, mdr

Seit dem 7. Mai gibt es an allen deutschen Grenzen verschärfte Kontrollen. Ihr Ziel: irreguläre Migration verhindern. Auch Asylsuchende können seitdem an den Landgrenzen zurückgewiesen werden. Der neue Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) hat dies kurz nach seinem Amtsantritt angewiesen und folgendermaßen begründet: "Es ist eine Maßnahme, die wir für notwendig erachten, um einer Überforderung der Kommunen und einer Überforderung der Systeme entgegenzuwirken." Dafür ließ er gezielt eine mündliche Weisung aus dem Jahr 2015 zurücknehmen, die dem entgegenstand.

An allen deutschen Grenzen kam es zwischen dem 8. Mai und dem 4. Juni zu insgesamt rund 3.300 Zurückweisungen - beispielsweise wegen abgelaufener Visa. Davon wurden 160 Personen aufgrund der neuen Weisung zurückgeschickt.

Zweifel an einer Notlage

Der Sachverständigenrat für Integration und Migration berät die Bundesregierung in Migrationsfragen und hat Dobrindt scharf kritisiert. Zurückweisungen sind nach EU-Recht nicht zulässig. Nur im absoluten Notfall darf ein Land das europäische Asylrecht umgehen. Den hat Dobrindt zwar geltend gemacht, doch Birgit Glorius, die stellvertretende Vorsitzende des Sachverständigenrates und Professorin an der TU Chemnitz, widerspricht im Interview mit MDR Investigativ.

In den Kommunen bestünden zwar angespannte Situationen in allen Infrastrukturbereichen, die Neuzuwanderung betreffen. "Aber das ist regional sehr unterschiedlich." Und es liege nicht nur allein am Asylzugang, sondern insgesamt an überlasteten Strukturen, die über Jahre nicht richtig ausgestattet wurden, erklärt Glorius weiter. Ebenso am Fachkräftemangel. "Und wenn man das etwas genauer anschaut, bleibt da sehr wenig übrig von einer wie auch immer gearteten Notlage."

Mehr als eine Einzelfallentscheidung?

Diese Ansicht vertrat auch das Verwaltungsgericht Berlin, als es am 2. Juni entschied, dass die Zurückweisung von drei Somaliern nach Polen rechtswidrig gewesen sei. Das Gericht mahnte an, europäisches Recht sei anzuwenden und es fehle an der hinreichenden Darlegung einer Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit.

Dabei hatte Dobrindt schon am Tag der Verkündung des Berliner Urteils erklärt, dass er eine Erklärung nachliefern werde, worin der Notstand genau bestehe. Diese Aussage wiederholte er einen Tag danach in der Sendung maischberger. Außer der Erklärung, dass die Kommunen überlastet seien, gab es bislang aus seinem Ministerium keine weitere Begründung. Auch nicht auf Nachfrage von MDR Investigativ.

Doch Dobrindt hält weiterhin an seiner Anordnung fest, da das Urteil aus Berlin eine Einzelfallentscheidung sei. Eine andere Haltung vertritt Romy Klimke, Europarechtlerin von der TU Dresden. "Das Verwaltungsgericht Berlin macht vielmehr sehr deutlich, dass es sich um einen Fall handelt, der wahrscheinlich bei 98 - 99 Prozent anderer Geflüchteter, die an der Grenze zurückgewiesen werden und auch in Zukunft in den nächsten Wochen wahrscheinlich noch zurückgewiesen werden, sich ganz ähnlich darstellt." Das Berliner Urteil habe eine relativ klare Signalwirkung. Umso weniger überzeugend sei Dobrindts Argument, dass es sich um Einzelfallentscheidungen handele, ergänzt Klimke.

Polizisten fordern Klärung der Rechtslage

Doch die Anordnung des Bundesinnenministers und die unterschiedlich interpretierte Rechtslage sorgen bei den Beamten vor Ort für Verunsicherung. Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) fordert eine schnelle und allgemeinverbindliche Klärung der Sachlage, denn in der jetzigen Situation könnten sich Polizisten an der Grenze strafbar machen.

Sven Hüber, stellvertretender GdP-Bundesvorsitzender, erklärt MDR Investigativ: "Wenn eine ministerielle Weisung, wenigstens nach gerichtlichen Feststellungen, rechtlich nicht zulässig ist, dann müssen die Beamten freigestellt werden von der persönlichen Verantwortung." Denn im Bundesbeamtengesetz sei geregelt, dass der Beamte für seine Handlung und damit auch für die Zurückweisung eines Asylsuchenden höchstpersönlich verantwortlich sei. Hüber findet deutliche Worte: "Und ich muss Ihnen sagen, in den Jahrzehnten, die ich jetzt bei der Bundespolizei bin, ist es mir noch nicht vorgekommen, dass die politische Entscheidung in Kauf nimmt, dass die ausführenden Beamten in Bredouille kommen."

Das Bundesinnenministerium teilt mit, dass man den Sachverhalt geprüft habe. Ergebnis: "Eine persönliche Haftung des einzelnen Beamten bzw. der einzelnen Beamtin scheidet grundsätzlich aus."

Scharfe Kritik am Rechtsverständnis

Dass die Beamten in Bedrängnis kommen könnten, ist auch den Worten Angela Furmaniaks vom Republikanischen Anwältinnen- und Anwälteverein (RAV) zu entnehmen. Sie wurde am vergangenen Wochenende in Leipzig zur neuen Vorsitzenden des RAV-Vorstands gewählt. Den vorliegenden Sachverhalt kommentiert sie gegenüber MDR Investigativ folgendermaßen: Gerichtliche Entscheidungen anzuzweifeln und ihre Geltung in Abrede zu stellen, sei ein Angriff auf die Unabhängigkeit der Justiz und bedeute in seiner Konsequenz, dass exekutives Handeln über Recht und Gesetz gestellt werde. Furmaniak erklärt weiter: "Wir werden uns als Rechtsanwält*innen derartigen Angriffen entgegenstellen und diese 'Politik des kalkulierten Rechtsbruchs' nicht hinnehmen."

Aus dem Bundesinnenministerium heißt es in einer Antwort auf Nachfrage, dass die Grenzkontrollen und Zurückweisungen wirksam seien und die Anzahl der Asylanträge zurückgehe. Gemeinsam mit anderen Maßnahmen habe man eine "migrationspolitische Wende eingeleitet".