Deutsche Bundespolizisten kontrollieren ein Fahrzeug an der Grenze zwischen Kreuzlingen in der Schweiz und Konstanz in Deutschland.

Verwaltungsgericht Berlin Warum die Zurückweisungen rechtswidrig sind

Stand: 02.06.2025 18:35 Uhr

Vor knapp vier Wochen hat Innenminister Dobrindt verschärfte Grenzkontrollen und die Zurückweisung Asylsuchender angeordnet. Doch die Maßnahme ist laut Verwaltungsgericht Berlin rechtswidrig.

Von Claudia Kornmeier und Philipp Eckstein, ARD-Hauptstadtstudio

Für Bundesinnenminister Alexander Dobrindt und die neue Bundesregierung ist es eine herbe Schlappe: Das Verwaltungsgericht Berlin hat in gleich mehreren Eilverfahren entschieden, dass Zurückweisungen von Asylsuchenden an der Grenze rechtswidrig sind. Die Beschlüsse "sind unanfechtbar", teilt das Gericht mit und stellt zudem klar, die rechtliche Begründung des Bundesinnenministeriums für die verschärften Maßnahmen sei nicht ausreichend. Die Entscheidung ist rechtskräftig.

Geklagt hatten zwei Männer und eine Frau aus Somalia. Sie waren mit dem Zug am 9. Mai aus Polen eingereist und von der Bundespolizei am Bahnhof Frankfurt (Oder) kontrolliert worden. Dort äußerten sie ihr Asylgesuch, wurden aber dennoch nach Polen zurückgewiesen. Das war rechtswidrig, stellt das Gericht fest.

Deutschland sei im Rahmen der sogenannten Dublin-Verordnung der Europäischen Union dazu verpflichtet, bei Asylgesuchen, die hierzulande gestellt werden, das vorgesehene Verfahren einzuhalten. Und das sieht vor, dass zunächst in Deutschland geprüft wird, welches Land für das Asylverfahren zuständig ist. Dieses Dublin-Verfahren hätte in Deutschland durchgeführt werden müssen, teilt das Gericht mit.

Keine Ausnahme von EU-Recht

Die Bundesregierung könne sich nicht darauf berufen, ausnahmsweise EU-Recht nach Artikel 72 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) nicht anzuwenden. Notwendig ist dafür eine Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit.

Die Bundesregierung hatte in dem Verfahren versucht, dies damit zu begründen, dass im vergangenen Jahr ein Viertel aller in der Europäischen Union, Norwegen und der Schweiz registrierten Asylerstanträge - etwa 230.000 - in Deutschland gestellt worden seien, während es nur fast 78.400 Eurodac-Treffer gab und in mehr als 27.500 Fällen der Asylanträge in Deutschland die Einreise mit einem Visum erfolgte. Eurodac ist die europäische Fingerabdruck-Datenbank für die Identifizierung von Asylbewerbern.

Beim Verwaltungsgericht hat sie damit keinen Erfolg: "Es bleibt offen, was aus diesen Zahlen genau für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Bundesrepublik folgt", heißt es im Beschluss. Soweit die Bundesregierung damit belegen wolle, dass die anderen EU-Länder ihre Pflichten vernachlässigen, reiche das nicht aus, um sich selbst auf eine Notlage zu berufen.

"Es ist auch weder vorgetragen noch sonst ersichtlich, dass sich aus diesen Zahlen einerseits eine Situation ergibt, die für die deutschen Behörden nicht zu bewältigen wäre und auf Grund derer die Funktionsfähigkeit staatlicher Systeme und Einrichtungen akut gefährdet wäre, und wie sich andererseits gerade Zurückweisungen an der Grenze auf diese Situation auswirken würden", heißt es im Beschluss.

Grundsatz der "loyalen Zusammenarbeit"

Zur Begründung hatte die Bundesregierung unter anderem auf die Schwierigkeiten bei sogenannten Dublin-Überstellungen verwiesen - etwa darauf, dass andere Mitgliedstaaten Asylbewerber nur an bestimmten Tagen zurücknehmen oder nur eine bestimmte Anzahl. Oder Mindeststandards bei der Versorgung der Menschen missachten. Aus der Sicht des Verwaltungsgerichts erklärt die Bundesregierung aber nicht, inwieweit Zurückweisungen von Asylsuchenden etwas daran ändern würden.

Die Berufung auf eine Notlage könne außerdem auch daran scheitern, dass die Bundesregierung dies nicht mit der Europäischen Union - zumindest aber mit Polen als dem betroffenen Nachbarstaat - koordiniert habe. Der Grundsatz der "loyalen Zusammenarbeit" dürfte die Mitgliedstaaten und damit auch Deutschland dazu verpflichten, "ernsthaft nach einer gemeinsamen Lösung zu suchen" - gerade, wenn es darum gehe, von EU-Recht abzuweichen.

Die Nichtregierungsorganisation Pro Asyl hatte die beiden Kläger und die Klägerin rechtlich unterstützt. Die Beschlüsse des Gerichts seien ein "großer, vielleicht ein wegweisender Erfolg", sagte Karl Kopp von Pro Asyl dem ARD-Hauptstadtstudio. Er forderte, dass die Zurückweisungen von Schutzsuchenden an den Grenzen jetzt sofort gestoppt werden.

Die Linken-Politikern Clara Bünger forderte Bundesinnenminister Dobrindt zum Rücktritt auf. Dem ARD-Hauptstadtstudio sagte sie, ein "Minister, der mit Ansage Recht bricht, der ist seines Amtes nicht würdig". Die Zurückweisungen an den Grenzen müssten sofort eingestellt werden, "und zwar ab heute" so Bünger.

Das Bundesinnenministerium hat auf eine Anfrage bislang nicht reagiert.

Philipp Eckstein, ARD Berlin, tagesschau, 02.06.2025 17:23 Uhr