Jüdische Nationalisten ziehen mit Flaggen durch die Altstadt von Jersusalem.
Reportage

Jerusalem-Tag Zwischen Hass und Hoffnung

Stand: 27.05.2025 09:19 Uhr

Jedes Jahr marschieren Tausende jüdische Siedler und Nationalisten durch Jerusalem. Eine gezielte Provokation - denn der Marsch führt auch durch die mehrheitlich von Palästinensern bewohnten Stadtteile.

"Möge dein Dorf brennen", singen sie. Und "Tod den Arabern". Zehntausende sind zum Damaskustor an die Altstadt von Jerusalem gekommen. In der schreienden Menge sieht man Itamar Ben-Gvir, Israels rechtsextremen Minister für Nationale Sicherheit, der sich von der Menge feiern lässt.

Itamar Ben-Gvir bei einem Marsch von jüdischen Nationalisten in Jerusalem.

Der rechtsextreme Minister für Nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, besuchte auch das Gelände der Al-Aksa-Moschee auf dem Jerusalemer Tempelberg. Der Ort ist ein langjähriger Brennpunkt zwischen Juden und Muslimen und gilt beiden Religionen als heilig. Juden dürfen den Ort zwar besuchen, dort aber nicht beten. Die Palästinensische Autonomiebehörde und Jordanien verurteilten den Besuch des Ministers.

Viele von denen, die hier feiern, kommen aus den jüdischen Siedlungen im besetzten Westjordanland. Flaschen fliegen in Richtung der Journalisten, die die rassistischen Gesänge filmen und fotografieren. Mit Flaggen marschieren die Massen durch die Altstadt in Richtung Klagemauer. Und auch um den Krieg im Gazastreifen geht es hier: "Gaza ist unser", wird gerufen. Auf einem großen Plakat steht: "Ohne Nakba kein Sieg."

Jüdische Nationalisten ziehen mit Flaggen durch die Altstadt von Jersusalem.

Demonstranten, überwiegend junge Siedler aus dem besetzten Westjordanland, griffen bei dem Marsch linke israelische Aktivisten und Journalisten an, die den Umzug beobachteten. Sie skandierten nationalistische Parolen und riefen "Tod den Arabern". Die israelische Polizei, die sich in der Nähe aufhielt, habe nicht eingegriffen.

Marsch als Machtdemonstration

Etwas oberhalb steht Ratebeh Natsheh. Die junge Palästinenserin gehört zum Jerusalem Komitee, das sich um Bewohner von Ost-Jerusalem kümmert, wo vor allem Muslime leben. Bei dem Marsch gehe es darum, wer diesen Ort beherrsche und hier das Sagen habe, sagt sie. Die Siedler im Westteil der Stadt versuchten, Palästinenser zu vertreiben, es würden mehr Häuser zerstört. Sie sagen, dass ihre Infrastruktur der Stadtentwicklung diene: "Aber das soll die Palästinenser von ihrer Art, in der Altstadt von Jerusalem zu leben, abhalten", sagt Natsheh.

An diesem Tag ist das in jedem Fall so: Viele Bewohner des muslimischen Viertels in der Altstadt von Jerusalem sind geflohen, alle Läden sind geschlossen und verrammelt - aus Angst vor Zerstörung.

Ratebeh Natsheh

Ratebeh Natsheh gehört zum Jerusalem Komitee, das sich um Bewohner von Ost-Jerusalem kümmert.

Kein Platz für Palästinenser

Im Jüdischen Viertel kann man Daniel Luria treffen, den Direktor der Organisation Ateret Kohanim, die die jüdische Präsenz in Jerusalem stärken will. Kritiker werfen der Organisation vor, Palästinenser zu verdrängen. Zu den rassistischen Gesängen gegen Palästinenser sagt Daniel Luria, sie seien "Ausdruck von Gefühlen, die nach dem 7. Oktober auch ihre Berechtigung haben könnten".

Und dann wird der gebürtige Australier grundsätzlich: Es könne nur eine einheimische Bevölkerung geben, sagt er, und nur eine, die den Ton angibt: Das seien die Juden. Und am Jerusalem-Tag werde diese Wahrheit gefeiert.

Daniel Luria

Daniel Luira ist Direktor von Ateret Kohanim. Die Organisation will die jüdische Präsenz in Jerusalem stärken.

Streng genommen wird am Jerusalem Tag die Eroberung des Ostteils der Stadt durch Israel im Sechs-Tage-Krieg 1967 gefeiert. Seit 1980 schon hat Israel Ost-Jerusalem annektiert, was, beispielsweise von Deutschland, nicht anerkannt wird.

Aber für Daniel Luria ist der Fall klar: Er spricht wörtlich von einem Israel "from the River to the Sea", vom Jordan zum Mittelmeer, das in seiner Vorstellung also auch das besetzte Westjordanland einschließt. Ein palästinensischer Staat ist in seinem Weltbild nicht vorgesehen. Dieses Land gehöre ausschließlich den Juden, sagt er noch. Sie seien die einzigen Einheimischen hier.

Tag von Gewalt und Rassismus

In der Altstadt am Damaskustor bereitet sich Rafael Arcader derweil mit seiner lilafarbenen Weste auf Gewalt vor. Am Morgen hat der junge Aktivist schon ein paar Schläge abbekommen, als er sie sich um arabische Bewohner der Altstadt gekümmert hat. Mit etwa 100 anderen gehört er zur Organisation "Standing Together". Muslime und Juden setzen sich gemeinsam für Frieden ein, auch heute. Mit seinen Mitstreitern versucht er zu deeskalieren.

Für ihn ist der Jerusalem-Tag ein Tag der Gewalt und des Rassismus. Eigentlich, so sagt er, sollte Jerusalem als Stadt der Hoffnung und des Friedens und einer gemeinsamen Gesellschaft gefeiert werden. Für ihn gehe von Jerusalem immer noch Hoffnung aus. Aber der Jerusalem-Tag zeige für ihn, dass die israelische Gesellschaft heutzutage Menschen zum Hass erziehe. Er findet das traurig.

Draußen vor dem Tor singen rechtsextreme Siedler weiter "Tod den Arabern". Ratebeh Natsheh, die junge Palästinenserin schüttelt den Kopf. Dann sagt sie noch: Der Jerusalem-Tag sei nur ein Tag im Jahr. Man habe noch 364 andere.