Auf dem Boden liegende Menschen halten Schilder mit der Aufschrift "Wir wollen Gesundheitsfürsorge" und "Keine Euthanasie" während einer Kundgebung in Paris hoch.

Frankreich und die Sterbehilfe Strikter Rahmen für Sterbehilfe - oder Tabubruch?

Stand: 27.05.2025 11:07 Uhr

Die französische Nationalversammlung stimmt heute über eine Legalisierung der aktiven Sterbehilfe ab. Das Gesetz wird vor allem von Konservativen und der Rechten scharf kritisiert. Wird am Ende dazu das Volk befragt?

Von Jil Kalmes und Carolin Dylla, ARD Paris

Für die Kritiker ist es ein ethischer, medizinischer und sozialer Bruch. Für die Befürworter ein Gesetz, dass Todkranken eine Möglichkeit eröffnen soll, ihr Leiden zu beenden - wenn sie das wünschen.

Nach zwei Wochen intensiver und kontroverser Debatten stimmt die französische Nationalversammlung am Nachmittag über eine Legalisierung der Sterbehilfe ab. Demnach sollen sowohl der assistierte Suizid als auch die Tötung auf Verlangen unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt werden.

Was ist Regel und was Ausnahme?

Mit der Reform soll es in Zukunft erlaubt sein, dass Patienten unter Aufsicht selbst eine tödliche Substanz einnehmen oder dass Ärzte beziehungsweise Pfleger diese Substanz verabreichen dürfen. Ursprünglich sollten die Patienten zwischen beiden Wegen entscheiden dürfen.

Davon sei man im Laufe der Debatte abgerückt, so Gesundheitsministerin Catherine Vautrin: "Diesen letzten Akt muss der Betroffene selbst ausführen. Damit soll sichergestellt werden, dass es sich um die persönliche Entscheidung des Patienten handelt", so Vautrin vor den Abgeordneten.

Grundsätzlich sollen sich Patienten das tödliche Medikament also selbst verabreichen. Die Tötung auf Verlangen soll die Ausnahme bleiben und nur dann erfolgen, wenn die Patienten physisch nicht mehr zur Einnahme des Medikaments in der Lage sind.

Ähnlich wie beim Schwangerschaftsabbruch soll das Gesetz eine Gewissensklausel für Medizinerinnen und Mediziner enthalten: Keine Ärztin und kein Arzt muss Sterbehilfe leisten - wer das ablehnt, muss Patienten aber weitervermitteln.

 

Eine "neue Freiheit" - in einem strikten Rahmen

Die Befürworter der Reform betonen, das Gesetz biete eine Möglichkeit zur aktiven Sterbehilfe, setze dieser Möglichkeit aber zugleich einen "strikten Rahmen".

Wer Sterbehilfe in Anspruch nehmen möchte, muss an einer unheilbaren und tödlichen Krankheit leiden, die sich in einem "fortgeschrittenen oder Endstadium" befindet und die zudem körperliche oder seelische Qualen verursacht, die durch Behandlung nicht zu lindern sind.

Auf dem Boden liegende Menschen protestieren in Paris (Frankreich) gegen das geplante Gesetz zur Sterbehilfe.

Die Gegner des geplanten Gesetzes fordern eine bessere Gesundheitsfürsorge und protestierten in Paris mit einer Aktion gegen die Gesetzesvorlage.

Die Grenzen ärztlicher Erkenntnis

Die mögliche, verbleibende Lebenszeit könne bei der Bewertung keine Rolle spielen, betont Olivier Falorni von der Partei MoDem, denn kein Arzt könne sagen, in welchem Zeitraum eine Krankheit tatsächlich zum Tod führe.

Falorni hat den Gesetzentwurf maßgeblich erarbeitet: "Alle Ärzte, egal, ob sie vehement gegen dieses Gesetz waren oder vehement dafür, haben uns gesagt, dass sie keine Hellseher sind und im Einzelfall nicht sagen können, ob jemand noch sechs, zwölf oder 24 Monate zu leben hat."

Stattdessen sollen bei der Bewertung die verbleibende Lebensqualität und der individuelle Leidensdruck im Vordergrund stehen. Zudem müssen Patienten den Wunsch nach Sterbehilfe in einem klaren Zustand äußern.

Wer Sterbehilfe in Anspruch nehmen will, muss volljährig sein sowie die französische Staatsbürgerschaft haben - oder dauerhaft in Frankreich leben.

 

Vorwurf der Grenzüberschreitung

Kritik an dem Gesetzentwurf kommt insbesondere von den Konservativen und der extremen Rechten. Abgeordnete der Konservativen Républicains etwa sprachen von der "Überschreitung eines Tabus". Aus ihrer Sicht sind die Kriterien für den Zugang zur Sterbehilfe nicht streng genug.

Und auch Abgeordnete aus dem Präsidentenlager und der parlamentarischen Linken haben Vorbehalte gegenüber einer Legalisierung der Sterbehilfe: "Beim Recht auf Sterbehilfe denken viele an etwas Sanftes, Einfaches, vielleicht sogar Anziehendes", so Charles Sitzenstuhl von der Präsidentenpartei Renaissance.

Die Realität hinter diesen Worten sei aber eine andere, sagte Sitzenstuhl: "Es ist staatlich geförderter Suizid, der die Franzosen dabei unterstützt, ihre Leben auszulöschen. Ich werde niemals ein solches Gesellschaftsbild verteidigen."

Neben dem Gesetz zur Legalisierung der Sterbehilfe stimmen die Abgeordneten der Nationalversammlung auch über ein Gesetz ab, dass die Palliativversorgung verbessern soll. 

Ursprünglich war geplant, beide Komponenten in einem einzigen Text zusammenzufassen. Auf Initiative von Regierungschef François Bayrou werden Sterbehilfe und Palliativversorgung nun in zwei separaten Gesetzen abgestimmt.

 

Ein erster Schritt

Die Abstimmung in der Nationalversammlung ist ein erster, wichtiger Schritt hin zu einer möglichen Legalisierung der Sterbehilfe in Frankreich. Um angenommen zu werden, muss die Reform noch durch den Senat. Dort sind die Mehrheiten aber deutlich konservativer als in der Assemblée Nationale.

Präsident Emmanuel Macron hält es für wichtig, das Gesetz zu verabschieden. Er hat auch ein Referendum über das Sterbehilfegesetz ins Spiel gebracht, sollte sich der Gesetzgebungsprozess zwischen beiden Parlamentskammern festfahren: "Ich denke, eine Volksabstimmung könnte dann ein Weg sein, diese Blockade zu lösen", sagte Macron Mitte Mai im Sender TF1.

Laut der Tageszeitung Le Monde wird der Gesetzesentwurf dem Senat frühestens im September vorliegen. Mit der Abstimmung in der Nationalversammlung ist die Debatte über die Sterbehilfe also noch nicht vorbei - die Debatten der vergangenen Wochen können aber ein wichtiger Impuls für die kommenden Diskussionen sein.