
Frauengesundheit Herzgefäßkrämpfe - Frauen besonders gefährdet
Bei unklaren Brustschmerzen warten Frauen oft lange auf die richtige Diagnose. Herzerkrankungen äußern sich bei ihnen anders als bei Männern. Statt Verengungen der großen Herzgefäße liegen bei Frauen oft Mikrozirkulationsstörungen vor.
Bis vor kurzem spürte Christina S. ihr Herz ständig. Selbst, wenn sie sich gar nicht anstrengte, sondern nur auf dem Sofa saß und telefonierte. Immer sei da diese unsichtbare Hand gewesen, die ihr Herz festhielt, sagt die 55-Jährige, das Gefühl, das Organ könne sich nicht richtig ausbreiten. Die Folge: Atemnot und Kraftlosigkeit.
Nach vielen erfolglosen Arztbesuchen wird sie schließlich im Herzkatheterlabor untersucht. Dort wird ein dünner Schlauch bis zum Herzen vorgeschoben, um unter Röntgenstrahlung zu prüfen, ob sie Engstellen in den Blutgefäßen hat, die ihr Herz mit Blut versorgen. Ohne Befund: Die großen Herzkranzgefäße sind frei. Ihre Beschwerden, hört Christina S. erneut, könnten nichts mit dem Herzen zu tun haben.
Tatsächlich, schätzt die Deutsche Herzstiftung, liege bei 50 Prozent der Patienten mit Verdacht auf eine koronare Herzkrankheit oder Brustschmerzen (Angina pectoris), die eine Herzkatheteruntersuchung erhalten, keine typische Verengung der Herzkranzgefäße vor.
Langwierige Ursachensuche
Die Folge: Die Beschwerden der Betroffenen - oft sind es Frauen - werden nicht ernst genommen. Bei Christina S. vermuteten Ärzte einen Eisenmangel, rieten zu Ausdauersport - und ließen durchblicken, ihr Herzklopfen habe wohl eher psychische als körperliche Ursachen. Andere Frauen werden auf Angststörungen und Depression behandelt.
Bei Christina S. bringt erst der Aufenthalt im Rhein-Maas-Klinikum im nordrhein-westfälischen Würselen die Diagnose. Dort leitet Michael Becker das erste in Deutschland gegründete Zentrum für Frauen-Herzen. Der Kardiologe untersucht sie erneut im Katheterlabor. Er legt den Fokus aber nicht auf die großen Herzkranzgefäße - sondern auf die kleinen Herzgefäße, die den Herzmuskel in den tieferen Ebenen mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgen.
Bei einem Provokationstest mit einer speziellen Substanz verkrampfen sich die Gefäße, statt sich zu weiten. Damit steht fest: Christina S. leidet an einer vasospastischen Angina pectoris - also Schmerzen in der Brust, ausgelöst durch eine Fehlfunktion der kleinen Herzgefäße. Bei anderen Betroffenen dehnen sich diese Gefäße nicht ausreichend. In der Folge kommt in dem dahinterliegenden Areal des Herzens deutlich weniger Blut an. Bei Druck in der Brust, Luftknappheit und Herzstolpern - vor allem in Ruhe - sagt Kardiologe Becker, sollte man an Mikrozirkulationsstörungen, also Störungen der kleinsten Gefäße, denken.
Frauenherzen schlagen anders
Wie es dazu kommt, ist bislang noch nicht klar. Nur, dass Frauen besonders häufig von diesen Fehlfunktionen der kleinen Gefäße betroffen sind. Herz und Gefäße sind bei ihnen im Schnitt kleiner, zudem scheinen eine erbliche Veranlagung und der sinkende Östrogenspiegel in den Wechseljahren eine Rolle zu spielen - eine zentrale Ursache ist bislang noch nicht gefunden. Klar ist aber: Durch die wiederholte Minderversorgung von Teilen ihres Herzens droht den betroffenen Frauen langfristig eine Schädigung des Herzmuskels.
Zudem können Mikrozirkulationsstörungen auch akut gefährlich werden - wenn die kleinen Herzgefäße durch Arterienverkalkung bereits vorgeschädigt sind. "Frauen mit einem Befall der kleinen Gefäße, die dazu neigen, Krämpfe in den kleinen Gefäßen zu bekommen, haben ein höheres Risiko für einen Herzinfarkt", sagt Kardiologin Christina Paitazoglou vom Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Lübeck.
Frauen seien insgesamt häufiger von Herz-Kreislauferkrankungen betroffen als Männer, allerdings sieben bis zehn Jahre später. Und sie haben häufig andere Beschwerden als Männer: Bei Herzinfarkt und Angina pectoris klagen die meisten Männer über Brustschmerzen mit Ausstrahlung in den linken Arm. Frauen schildern eher Leistungsschwäche, Luftnot, Übelkeit und Schmerzen im Oberbauch. Die unterschiedlichen Symptome werden auch in der Notaufnahme von vielen Kardiologen fehlgedeutet. Das weibliche Geschlecht, sagt die Lübecker Kardiologin Paitazoglou, sei einer der größten Risikofaktoren, warum ein Herzinfarkt fehldiagnostiziert werde.
Risikofaktoren reduzieren
Die allgemeinen Risikofaktoren für die Entstehung einer Herz-Kreislauf-Erkrankung sind bei Frauen wie Männern allerdings gleich: Bluthochdruck, Übergewicht, Diabetes, ungünstige Blutfettwerte, Rauchen, Stress - all das schädigt die Herzgefäße - bei Männern eher die großen, bei Frauen eher die kleinen. Diese Risiken zu reduzieren bzw. zu behandeln, ist entsprechend für beide Geschlechter gleichermaßen wichtig: Blutdruck und Cholesterinspiegel in den Normbereich bringen, Gewicht reduzieren, die körperliche Aktivität hochfahren.
Christina S. hat keinen der klassischen Risikofaktoren - aber sie kann nun gezielt ein Medikament gegen die Krämpfe in ihren kleinen Herzgefäßen nehmen, einen sogenannten Kalziumantagonisten. Der fördert die Entspannung der Gefäße und sorgt so für eine bessere Durchblutung des Herzens. Menschen, bei denen sich die Gefäße nur eingeschränkt weiten, kann dagegen häufig mit einem Betablocker geholfen und ihre Belastbarkeit im Alltag verbessert werden. Wenn die Diagnose erst einmal steht, lassen sich Funktionsstörungen in den kleinen Gefäßen gut therapieren.