Uranumwandlungsanlage in Isfahan (Archivbild)
interview

Urananreicherung im Iran "Von 60 auf 90 Prozent ist es nur ein Katzensprung"

Stand: 16.06.2025 20:03 Uhr

Israel will mit seinen Angriffen auf den Iran verhindern, dass Teheran eine Atombombe baut. Nuklearforscher Steinhauser ist skeptisch, ob das gelingt. Bis zum atomwaffenfähigen Uran sei es nur noch ein kleiner Schritt.

tagesschau24: Wie hoch muss Uran angereichert sein, um es zunächst mal zivil zu nutzen?

Georg Steinhauser: Uran, so wie es in der Natur vorkommt, hat etwas unter einem Prozent am spaltbaren Uran-Isotop 235. Das ist also das, auf das man es abgesehen hat. Für zivile Zwecke wird das üblicherweise auf zwischen drei und fünf Prozent angereichert. Für speziellere Anwendungen, zum Beispiel für Forschungsreaktoren, wird auf knapp unter 20 Prozent angereichert. Hier wird dann ein Strich gezogen: Alles über 20 Prozent gilt als hochangereichertes Uran, auch wenn man für eine Atombombe 90 oder 90 plus brauchen würde.

Georg Steinhauser
Zur Person
Georg Steinhauser ist seit 2022 Professor für Angewandte Radiochemie an der TU Wien. Zuvor lehrte er ebenfalls in den USA und in Japan. Seit 2013 ist Steinhauser Mitglied des Strahlenschutzbeirats des österreichischen Bundesministeriums für Gesundheit. Er forscht unter anderem zur Umweltradioaktivität nach nuklearen Freisetzungen und nuklearen Notfällen, wie Fukushima und Tschernobyl.

tagesschau24: Was bedeutet denn hochangereichert? Was wird da angereichert?

Steinhauser: Es wird dieses spaltbare Isotop 235 angereichert. Es kommen in der Natur zwei Isotope vor, die sich nur durch ihre Masse unterscheiden. Das leichtere Uran 235 ist das spaltbare. Das ist also das wertvolle Uran. Das schwerere Uran 238 ist nicht spaltbar, aber es verdünnt gewissermaßen das wertvolle, spaltbare Material. Und das leichte 235 muss herausgekitzelt werden. Man muss das in eine höhere Konzentration bekommen, also anreichern.

Und das ist ein sehr aufwendiger und komplexer Prozess. Weil auch das Uran 238, das wertlose Uran, um nichts weniger Uran ist, kann man keine chemischen Verfahren anwenden. Man kann das also nicht mit chemischen Methoden herauskitzeln. Man muss es also in die Gasphase überführen und nur diesen winzigen Masseunterschied geltend machen.

"Urananreicherung ist kein linearer Prozess"

tagesschau24: Der Iran ist laut der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) im Besitz von Uran, das auf 60 Prozent angereichert ist. Wie groß ist der Aufwand, um es dann auf die für Atomwaffen benötigten 90 Prozent anzureichern?

Steinhauser: Das ist ein häufiges Missverständnis. Man glaubt immer, mit 60 Prozent ist man noch ein gutes Stück von den 90 Prozent entfernt, die man braucht. Aber das ist nicht so. Die Urananreicherung ist kein linearer Prozess. Das heißt, der Aufwand und die Mühe, die man hineinstecken muss, auch die Energie, die Zeit, die es zu Beginn des Prozesses - also wenn ich mit Natur-Uran anfange - das ist sehr aufwendig. Von 60 Prozent auf 90 Prozent geht es dann sehr rasch. Das ist förmlich nur noch ein Katzensprung.

Uran - kein seltenes Element

tagesschau24: Die größten Uranförderländer sind ja Kanada, Australien, Kasachstan, Niger und Russland. Wie schwer ist es, grundsätzlich an Uran zu kommen?

Steinhauser: Das ist nicht besonders schwer. Uran ist - und das ist vielleicht auch ein verbreitetes Missverständnis - kein seltenes Element. Die durchschnittliche Erdkruste enthält ein paar Milligramm. Das ist eine sichtbare Menge an Uran. Das heißt, wenn Sie eine Handvoll durchschnittliche Erde aus Ihrem Garten in die Hand nehmen, dann haben Sie in etwa einen Stecknadelkopf an Uran in Ihren Händen.

Uran ist ungefähr so häufig wie Zinn auf der Erde. Das heißt, jeder, der einen Zinnteller an der Wand hängen hat, könnte auch genauso gut einen Uranteller an der Wand hängen haben. Das wäre technologisch gesehen kein größerer Aufwand, da heranzukommen.

Es braucht auch jetzt keine Riesenmengen an Uran. Das heißt, der Iran ist nicht darauf angewiesen, dass die großen Uranförderländer - Australien, Kanada, Kasachstan - ihnen etwas zur Verfügung stellen. Da reichen kleinere Vorkommen, die man auch nutzen kann. Das scheint auch der Weg zu sein, den der Iran beschreitet.

"Israel schaltet Wissen aus"

tagesschau24: Wenn der Iran um die 90 Prozent angereichertes Uran hat, was braucht er dann noch, um daraus tatsächlich Atomwaffen herzustellen?

Steinhauser: Das ist natürlich ein sehr, sehr wesentlicher Punkt. Das spaltbare Material, sprich das hochangereicherte Uran oder waffenfähiges Plutonium, ist der erste riesengroße Meilenstein auf dem Weg zu einem erfolgreichen Atomwaffenprogramm. Ohne diese Materialien geht es nicht.

Aber es braucht noch sehr viel mehr an Technologie, an Wissen, an Erfahrung, zum Teil auch an experimentellen Tests, die man durchführen muss, um zu einer funktionstüchtigen Atomwaffe zu kommen. Es braucht die Sprengstofflinsen, es braucht die schnelle Elektronik. Da gibt es also eine Vielzahl an Dingen, die selbst ich als Nuklearforscher gar nicht kenne, weil sie seit Anbeginn aller Zeiten unter Verschluss gehalten werden.

Man sieht ja auch, dass Israel bewusst die Nuklearforscher ins Ziel nimmt, dass hier Wissen ausgeschaltet wird, damit diese Schritte nicht oder zumindest nicht so schnell bewältigt werden können. Wenn es der Iran wirklich auf eine Atomwaffe abgesehen hat, dann wird Israel das Land davon nicht abhalten können. Aber was Israel sehr wohl machen kann, ist verzögern, verzögern, verzögern. Vielleicht in der Hoffnung, dass es zu einem Regimewechsel kommt, dass sich hier politisch oder auf dem diplomatischen Parkett etwas tut.

Das Gespräch führte Ralph Baudach für tagesschau24. Es wurde für die schriftliche Fassung redigiert.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 16. Juni 2025 um 10:00 Uhr.