
Bahn stellt Projekt KIRA vor ÖPNV - on demand und autonom
Lange Wege zum Supermarkt und Geldautomaten - aber weder Bus, noch Bahn: Auf dem Land fühlen sich viele Menschen abgehängt. In Hessen startet ein Pilotprojekt, das Abhilfe schaffen soll.
Es ist ein komisches Gefühl, als "Test-Mitfahrer" in ein autonom fahrendes Auto einzusteigen. Hinter dem Steuer sitzt zwar ein Mensch, der als "Sicherheitsfahrer" aber nur in Notfällen eingreifen wird. Los geht's. Zügig, fast schon sportlich, beschleunigt das selbstfahrende Shuttle auf die vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h.
Ein großes Display an der Mittelkonsole zeigt die komplette Umgebung des Fahrzeugs an. Nicht nur andere Autos, Fahrräder oder Hindernisse werden abgebildet, auch sämtliche Fußgänger werden grafisch dargestellt, inklusive deren Laufrichtung.
Wir nähern uns einem Kreisverkehr mit vorgelagertem Zebrastreifen. Eine knifflige Situation im alltäglichen Straßenverkehr. Jetzt bremst der selbstfahrende Wagen extrem früh ab und nähert sich langsam dem Kreisverkehr. Kurzes Abwarten, Einfahren in den Kreisverkehr, die Reise geht weiter - und zu jeder Zeit fühle ich mich als Passagier erstaunlich sicher.
Projekt KIRA startet mit Testnutzerinnen und -nutzern
KIRA ist das erste Projekt in Deutschland, das autonome Fahrzeuge für den Öffentlichen Personennahverkehr auf der Automatisierungsstufe Level 4 mit Fahrgästen testet. Level 4 bedeutet, dass sich Fahrzeuge innerhalb eines definierten Gebiets autonom, also fahrerlos, fortbewegen.
KIRA steht für "KI-basierter Regelbetrieb autonomer On-Demand-Verkehre". Bei diesem Projekt haben die Deutsche Bahn und der Rhein-Main-Verkehrsverbund RMV die Federführung.

In Hessen kommen die Shuttles testweise zum Einsatz.
Hessische Landkreise als Testgebiet
Ab sofort können Kundinnen und Kunden die Shuttles in der hessischen Stadt Langen und in der Gemeinde Egelsbach im Kreis Offenbach buchen und nutzen. Testnutzer müssen registriert sein, benötigen die projekteigene KIRA-App und müssen volljährig sein. Sämtliche Fahrten sind während der KIRA-Testphase kostenlos.
"Vor zehn Jahren wurden kleineren Ortschaften Bäckereien und Metzgereien weggenommen", sagt Knut Ringat, Vorsitzender der Geschäftsführung Rhein-Main-Verkehrsbund. "Vor fünf Jahren sind dann die Geldautomaten verschwunden. Dazu kommt, dass Busse in weniger besiedelten Gebieten nur selten verkehren. Dadurch fühlen sich viele Menschen auf dem Land abgehängt. Für diese Personen ist ein autonom fahrender On-Demand-Service interessant".
Während des KIRA-Testbetriebs werden virtuelle Haltestellen angefahren. Eine individuelle Abholung an der Heimatadresse ist nicht möglich. Fahrgäste können ausschließlich an einer der virtuellen Haltestellen zusteigen. Im Kreis Langen gibt es aktuell 19 Start- und Zielpunkte. Diese können beliebig miteinander kombiniert werden. Fahrten können vorab gebucht werden. Spontan angeforderte Fahrzeuge treffen laut KIRA zeitnah - das heißt, innerhalb weniger Minuten - ein.
Die fahrende Kommandozentrale
13 im Fahrzeug verbaute Kameras sorgen für eine lückenlose Erfassung der Umgebung. Zusätzlich unterstützen sechs Radar-Sensoren sowie neun Lidar-Sensoren, um eine sichere und optimale Teilnahme am Straßenverkehr zu gewährleisten. Lidar (Light Detection and Ranging) ist eine Methode, die mit Hilfe von Lichtimpulsen Distanzen messen und 3D-Modelle von Objekten erstellen kann. Beide Systeme, Kamera und Radar/Lidar, funktionieren eigenständig. Sollte ein System ausfallen, kann das andere System weiterhin den Betrieb sicherstellen.
Der Einsatz unterschiedlicher Sensoren hat den Vorteil, dass zu jeder Zeit ein umfassendes Bild der Fahrumgebung entsteht und das Fahrzeug autonom betrieben werden kann, beispielsweise auch bei widrigen Wetterbedingungen.
Mit bis zu 130 km/h im Straßenverkehr - zukünftig ohne Fahrer
Die eingesetzten Elektrofahrzeuge können laut KIRA komplexe Verkehrssituationen meistern und fahren komplett autonom in normaler Geschwindigkeit mit bis zu 130 km/h. Die Fahrzeuge garantieren eine Reichweite von etwa 400 Kilometern und bieten Platz für mindestens drei Fahrgäste.
Während der Testphase sitzt ein "Sicherheitsfahrer" am Steuer, der überwacht und nur in Notfällen korrigierend eingreift. "Ziel ist es, in den 2030er-Jahren komplett autonomes Fahren im ÖNPV anzubieten", erklärt Kaweh Mansoori, Minister für Wirtschaft, Energie, Verkehr, Wohnen und ländlichen Raum in Hessen.
Gefördert wird das Projekt auch vom Bund. "Autonomes Fahren ist eine zentrale Schlüsseltechnologie für eine innovative, umweltfreundliche und barrierefreie Mobilität", sagt Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder (CDU). "Perspektivisch soll es daher überall in Deutschland im Regelbetrieb stattfinden."