Ralf Hertig an seinem letzten Arbeitstag in der Fahrzeughalle der Berufsfeuerwehr Jena – nach fast 40 Jahren Einsatz für die Stadt.

Thüringen Feuerwehr-Chef Ralf Hertig hört auf: "Erst Feuer gelöscht, dann gelernt, wie es geht"

Stand: 29.05.2025 12:53 Uhr

Vom Truppmann in der DDR zur Führungskraft mit Verantwortung für Hunderte: Ralf Hertig prägte Generationen bei der Berufsfeuerwehr Jena. Nun geht er in den Ruhestand. Der Abschied eines Mannes, der nie im Mittelpunkt stehen wollte – und doch die Jenaer Feuerwehr entscheidend geprägt hat.

Von Olaf Nenninger, MDR THÜRINGEN

Ein letzter Blick in die Fahrzeughalle, ein paar letzte Anweisungen an die Kollegen, noch einmal durch die Wachabteilung gehen – so beginnt der letzte Arbeitstag von Ralf Hertig bei der Berufsfeuerwehr Jena. Nach knapp vier Jahrzehnten Dienst geht der 63-Jährige in den Ruhestand. "Das Fahrzeug hier wird getauscht", ruft er einem Kollegen zu. Kleine Details, wie sie Feuerwehralltag sind – doch heute steckt in allem eine leise Endgültigkeit.

Vom Truppmann ohne Ausbildung zum Feuerwehrchef

Als Hertig 1986 bei der Berufsfeuerwehr begann, wurde er "praktisch ins kalte Wasser geschubst", wie er selbst sagt. Die Ausbildung kam erst später – wörtlich: "Ich habe erst Feuer gelöscht und dann gelernt, wie es geht." Damals noch in einer engen Wache mit wenigen Fahrzeugen, unter DDR-Bedingungen, 72-Stunden-Wochen und großem Idealismus. Damals war die Feuerwehr dem Innenministerium unterstellt. Und damit kam auch im Herbst 1989 die Sorge, dass er mit seinen Kameraden den Wasserwerfer auf Jenaer Demonstranten richten müsse. Doch dieser gefürchtete Einsatzbefehl kam nie.

Ich habe erst Feuer gelöscht und dann gelernt, wie es geht. Ralf Hertig I Fachdienstleiter Feuerwehr der Stadt Jena |

Nach der Wende begann der Aufbau – in kleinen Schritten, mit neuer Technik und mehr Personal. Hertig arbeitete sich vom Wachabteilungsführer über den Einsatzleiter bis zum Fachdienstleiter hoch. Dazwischen absolvierte er die nötigen Lehrgänge, übernahm Verantwortung – nicht nur für Einsätze, sondern für Hunderte Feuerwehrleute in Jena.

Mehr als 400 Einsatzkräfte: So ist die Feuerwehr Jena aufgestellt

Die Feuerwehr Jena besteht aus einer Berufsfeuerwehr mit etwa 145 Beamten im aktiven feuerwehrtechnischen Dienst sowie 15 Freiwilligen Feuerwehren mit rund 300 aktiven Mitgliedern. Zusammen ergibt sich eine Gesamtstärke von über 400 Einsatzkräften. Darüber hinaus umfasst die Zentrale Leitstelle der Feuerwehr Jena 39 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, von denen 34 im 24/7-Schichtsystem tätig sind.

Die Berufsfeuerwehr ist in drei Wachabteilungen organisiert, von denen jede etwa 30 Kollegen umfasst. Täglich werden 19 Einsatzfunktionen auf den beiden Feuerwachen vorgehalten. Die Freiwilligen Feuerwehren sind auf verschiedene Stadtteile verteilt und ergänzen die Berufsfeuerwehr bei Einsätzen und in der Ausbildung.

Insgesamt verfügt die Feuerwehr Jena über mehr als 60 Einsatzfahrzeuge und Anhänger, die auf die beiden Feuerwachen, die 15 Standorte der Freiwilligen Feuerwehren und das Katastrophenschutzlager verteilt sind.

Kameradschaft und Krisen

In der Wachabteilung herrscht kameradschaftlicher Respekt. Hier verbringen die Besatzungen ihre 24-Stunden-Schichten, wenn sie nicht im Einsatz sind. Ein Rückzugsort, immer auch ein bisschen privat, oft wird zusammen gekocht. Auch Sven Kraft macht am Morgen im Speisesaal Pause. Er kennt Hertig schon lange: "Ich bin zur Feuerwehr gekommen, und da war er danach gleich mein Wachführer. Ich konnte ihn mitbegleiten, also den ganzen Weg vom Wachführer nach oben. Das war immer ein angenehmes Zusammenarbeiten." – "Wir haben so manche Schlacht zusammen geschlagen und manches Glas zusammen geleert", pflichtet Hertig bei.

Eine dieser "Schlachten" war der Einsturz des Roten Turms im Jahr 1995. Tagelang suchten Hertig und seine Kameraden unter den Trümmern nach vier verschütteten Bauarbeitern. Am Ende wurden sie alle tot geborgen – darunter auch ein 15-jähriger Lehrling. "Wir wollten ihn finden, um Gewissheit zu haben", erinnert sich Hertig. "Das war Marco, nach dem wir gegraben haben."

Solche Einsätze hinterlassen Spuren – auch wenn Hertig sie nicht offen zeigt. "Ich glaube, ich habe einfach eine harte Schale", sagt er. "Ich habe noch nie schlecht geschlafen wegen eines Einsatzes, aber wir reden hier im Team – das hilft." Dass es heute psychosoziale Unterstützung für Kolleginnen und Kollegen gibt, begrüßt er ausdrücklich.

Letzter Dienstschluss: Ralf Hertig räumt sein Büro – Erinnerungen und Verantwortung packt er mit in die Kiste.

Letzter Dienstschluss: Ralf Hertig räumt sein Büro – Erinnerungen und Verantwortung packt er mit in die Kiste.

Ein Leben für die Feuerwehr – trotz anderer Pläne

Eigentlich wollte er zur See fahren. Doch die DDR verwehrte ihm das Seefahrtsbuch – also blieb er. Ein verstorbener Freund überzeugte ihn damals, zur Feuerwehr zu kommen. "Das habe ich nie bereut", sagt Hertig. Eine Kapitänsmütze im Regal hinter dem Schreibtisch erinnert an diesen alten Traum – ein Abschiedsgeschenk der Kollegen. Und vielleicht auch ein Symbol dafür, dass sich Berufung manchmal unerwartet zeigt.

Er war nie ein Mann der großen Worte, aber einer der klaren Ansagen. Führung bedeutete für ihn immer auch Vorbild sein – in ruhigen Zeiten wie in Extremsituationen. Dabei blieb er stets bescheiden. "Ich war nie der mit dem Schlauch ganz vorn – das waren andere. Ich war der, der das Ganze zusammenhält."

Ich war nie der mit dem Schlauch ganz vorn – das waren andere. Ich war der, der das Ganze zusammenhält. Ralf Hertig I Fachdienstleiter Feuerwehr der Stadt Jena |

Abschied, aber kein Stillstand

Hertigs Nachfolger ist Nick Ludwig, selbst von Jugend an bei der Feuerwehr. Und Hertig? Der bleibt nicht lange stillsitzen. In seinem Heimatort Wogau ist er weiter aktiv – in der Freiwilligen Feuerwehr. Noch vor wenigen Tagen war er dort bei einem Brand im Einsatz. Mit seiner Erfahrung will er dort weiterhin helfen, ausbilden, unterstützen. "Man kann vieles hinter sich lassen – aber nicht die Verantwortung für andere."

Generationswechsel bei der Feuerwehr Jena: Ralf Hertig im Gespräch mit seinem Nachfolger Nick Ludwig am letzten Arbeitstag.

Generationswechsel bei der Feuerwehr Jena: Ralf Hertig im Gespräch mit seinem Nachfolger Nick Ludwig am letzten Arbeitstag.

Ein leiser Abgang – aber ein bleibender Eindruck

Ralf Hertig geht, wie er gearbeitet hat: ruhig, verlässlich, bodenständig. "Da ist schon ein Part Wehmut dabei", sagt er. Die Feuerwehr Jena verliert einen Leiter – und gewinnt einen Ehrenamtlichen mit jahrzehntelanger Erfahrung. Sein Wirken hat Generationen geprägt, seine Art Führung neu definiert – nicht durch Lautstärke, sondern durch Vertrauen.

MDR (dkn)