
Sachsen-Anhalt Pandemie-Kommission: Rechte Sterbender übertreten
Die Regierungskommission zur Aufarbeitung der Corona-Pandemie legt am Dienstag ihren Abschlussbericht vor. Sie stellt den politischen Entscheidern grundsätzlich ein positives Zeugnis aus. Kritik übt das Experten-Gremium am Umgang mit Sterbenden und an der schlechten Vorbereitung auf eine Pandemie.
Die von der Landesregierung eingesetzte Regierungskommission "Pandemievorsorge" wird am Dienstag in Magdeburg ihren Abschlussbericht vorgelegen. Sie sollte Sachsen-Anhalts Maßnahmen im Zuge der Corona-Pandemie kritisch aufarbeiten und Empfehlungen für die Zukunft formulieren. Der 150-seitige Bericht liegt MDR SACHSEN-ANHALT bereits vor.
Er stellt der Landesregierung im Grundsatz ein positives Zeugnis aus. Aus Sicht der 16-köpfigen Kommission haben die politischen Entscheider diejenigen Maßnahmen ergriffen, "die nach dem jeweiligen Informationsstand angemessen und zielführend erschienen", heißt es im Abschlussbericht, der MDR SACHSEN-ANHALT vorliegt.
Corona: Rechte Sterbender missachtet
Deutliche Kritik übt die Kommission in Bezug auf den Umgang mit Bewohnerinnen und Bewohnern von Pflegeheimen. Hier sei es zu substanziellen Übertretungen der individuellen Rechte und Freiheit gekommen. Gemeint sind insbesondere die strikten Kontaktverbote zu Beginn der Pandemie. "Viele Bewohnerinnen und Bewohner dürften ihre letzten Wochen oder Monate auf ihrem Zimmer verbracht haben, in Isolation von Familie und Freunden", obwohl sie in besonderem Maße auf Kontaktpflege mit nahestehenden Menschen angewiesen gewesen seien.
In Zukunft müsse daher eine stärkere Gewichtung der Menschenwürde bei der Grundrechtsabwägung sichergestellt werden, um zum Beispiel Sterbebegleitung durch Angehörige zu ermöglichen. "Die Rechte Sterbender und ihrer Angehörigen sind während der Pandemie zu stark missachtet worden", heißt es wörtlich im Bericht.
Pandemie: Staat und Gesellschaft zu schlecht vorbereitet
Weitere Fehler seien zudem auch deshalb gemacht worden, weil Staat und Gesellschaft nicht ausreichend auf eine Situation wie die Corona-Pandemie vorbereitet gewesen seien. "An vielen Stellen fehlte es an Konzepten, Ausstattung, Wissen und Standards." Selbst Hygienekonzepte hätten erst erstellt werden müssen.
In Teilen widersprüchliche Regeln hätten zu Misstrauen bei den Menschen geführt. So seien etwa Gartenmärkte geöffnet geblieben, andere Einzelhandelsgeschäfte habe man geschlossen. Kinder hätten am Vormittag in der Grundschule andere Regeln befolgen müssen als nachmittags im Hort. Finanzielle Hilfen seien nicht unbedingt da angekommen, wo sie am dringendsten benötigt worden seien.
Corona: Maßnahmen ohne Vorlauf angekündigt
Aus Sicht der Kommission kam erschwerend hinzu, dass es Behörden und Wissenschaft im Zusammenhang mit der Pandemie nicht geschafft haben, verständlich zu kommunizieren. So entstandene Interpretationsspielräume hätten Spekulationen begünstigt. "Als Konsequenz war den Menschen in Sachsen-Anhalt nicht immer bekannt, welche Regelungen wann und wo galten und warum sie notwendig waren."
Mangels Leitlinien und Routinen für den Pandemiefall konnten laut Kommission zudem die Maßnahmen nicht geregelt erlassen werden, sondern wurden oft ad hoc und ohne viel Vorlauf angekündigt. In der Folge hätten etwa Unternehmen oder Schulleitungen binnen kürzester Zeit neue Regeln umsetzen und erklären müssen. Auch hätten Möglichkeiten gefehlt, die praktischen Erfahrungen der Betroffenen in die politischen Entscheidungen einzubeziehen.
Pandemiekommission: 75 Handlungsempfehlungen
Um im Fall einer erneuten Pandemie besser vorbereitet zu sein, hat die Regierungskommission mit ihrem Abschlussbericht 75 Handlungsempfehlungen vorgelegt. So sollen künftig zum Beispiel Wissenschaft und Betroffene in die Entscheidung über Maßnahmen eingebunden werden, Daten sollen effektiver ausgetauscht und in der Kommunikation nur noch einheitliche Botschaften gesendet werden. Um die Empfehlungen umzusetzen, empfiehlt die Kommission, eine eigene Stabsstelle einzurichten.
Die Kommission besteht aus 16 Fachleuten, darunter Mediziner, Juristen, Verwaltungsangestellte, Lehrer, Vertreter der Handwerkskammer oder Künstler. Die Leitung übernahm der frühere Richter des Landesverfassungsgerichtes und hallesche Universitätsprofessor Winfried Kluth. Die Pandemie-Kommission war 2023 von der Landesregierung eingesetzt worden.
MDR (Daniel Salpius)