
Sachsen Wie schlesische und polnische Künstler das Jahr 1945 verarbeitet haben
Die Ausstellung "Umbrüche 1945" beleuchtet Erfahrungen schlesischer Künstlerinnen und Künstler mit Flucht und Vertreibung. Es geht dabei nicht nur um deutsche Sichtweisen, denn auch Polen hatten Erfahrungen mit Flucht und Vertreibung. Beide Perspektiven ergänzen sich in der Schau im Schlesischen Museum Görllitz.
- In der Ausstellung "Umbrüche 1945" zeigen Bilder mancher Künstler, dass sie ihre eigene Flucht mit der der heiligen Familie verglichen haben.
- Während die schlesischen Flüchtlinge im Westen "Vertriebene" genannt wurden, hießen sie in der offiziellen DDR-Sprache "Umsiedler".
- Auch die Schöpferin des Mitropa-Geschirrs, Margarethe Jahny, stammt aus Schlesien und hatte eine Fluchtgeschichte.
Das Jahr 1945 markierte für alle Menschen in Schlesien einen tiefgreifenden Umbruch. Die deutschen Bewohner mussten das Land verlassen und eine neue, polnische Bevölkerung wurde angesiedelt. Deutsche wie Polen hatten das Schicksal zu tragen, den Verlust der Heimat zu bewältigen und ein neues Leben aufzubauen – unter ihnen zahlreiche Künstlerinnen und Künstler. Eine Sonderausstellung im Schlesischen Museum in Görlitz zeigt jetzt die Brüche und Kontinuitäten im Schaffen von 30 von ihnen – sowohl in beiden deutschen Staaten, als auch in der damaligen Volksrepublik Polen.

"Haus ohne Adresse" hat Jurek Kozieras (geb. 1946) dieses 2005 entstandene Kunstwerk benannt.
Flucht-Vergleich zur heiligen Familie
Ein kleines, unscheinbares Pastellbild von Martin Prautsch kann man in der Austellung "Umbrüche 1945" leicht übersehen. Es zeigt eine Nachtszene, bei der die heilige Familie einsam unterwegs ist, jedoch so winzig dargestellt, dass man sie nur wegen des sie umgebenden Strahlenkranzes als solche erkennt. Religiöse Themen bestimmten das Werk des expressionistischen Malers immer. Vor dem Hintergrund jedoch, dass es 1946 entstanden ist, in dem Jahr, als er aus seiner Heimat, Schlesien vertrieben wurde, kommt hier noch ein anderes Sujet hinzu.

Mit dieser Bronzefigur setzte sich der Künstler Fidelis Bentele (1905–1986) mit der Flucht auseinander. Eine Frau mit einem Rucksack, der an Engelsflügel erinnert.
Ähnlich ist es bei den Bildern von Bernhard Hönig. Kuratorin Katarzyna Sonntag erläutert: "Nach dem Krieg hat er sich sehr intensiv mit dem Thema Vertreibung auseinandergesetzt und hat in unzähligen Versionen die Flüchtlingstracks gemalt." Für die Schau jetzt hat Sonntag vier davon ausgewählt. Sie hat analysiert, dass sich bei Hönigs Bildern immer wieder ein auf dem Wagen sitzendes Paar herauskristallisiert. Zuerst sei das Paar noch allein, später sieht man, dass die Frau beschützend ein Baby hält. Hönig habe auf seinen Trackbildern die Heilige Familie herauskristallisiert und damit die Bilder von den Flüchtlingen mit religiöser Ikonografie besetzt, so Sonntag. Auf diese Weise habe sie auch den Vertriebenen und deren Leid eine universelle Bedeutung gegeben.

"Ruineneinsamkeit" hat Gerda Rotermund dieses Bild genannt.
Vertriebene im Westen, Umsiedler im Osten
Nicht alle in der Schau gezeigten Bilder und Gemälde sind derart aufgeladen, oft finden sich auch Landschaften wie die Berge des Riesengebirges. Es sind Sehnsuchtsorte für die aus Schlesien Geflüchteten. Entstanden nach Kriegsende, teils auch zuvor, hatten sie später als Postkartenmotive Konjunktur. In der BRD wohlgemerkt. In der DDR hingegen durfte über Flucht und Vertreibung nicht gesprochen werden. Verharmlosend sprach man hier von Umsiedlern.
Auch in Polen gab es Fluchtbewegungen
Im sozialistischen Polen sei es kaum anders gewesen, erläutert Museumsleiterin Agnieszka Gąsior. Die Vertriebenen aus den an die Sowjetunion gefallenen ostpolnischen Gebieten, hätten diese auch von einem Tag auf den anderen verlassen müssen. Sie seien offiziell keine Vertriebenen, sondern sogenannte Repatrianten gewesen, so Gąsior, das sollte heißen, sie seien in ihre Heimat zurückgekommen, weil diese neuen, von den Deutschen übernommenen Gebiete als alte polnische Gebiete deklariert worden seien. "Das ist Teil einer kommunistischen Ideologie gewesen, um diese Gebiete in die neue Volksrepublik einzubinden", so die Museumschefin.

Das bekannte Mitropa-Geschirr – eigentlich die Geschirrserie "Rationell", entworfen von Margarete Jahny und Erich Müller, VEB Vereinigte Porzellanwerke Colditz.
Designer mit Fluchtgeschichten
Im Obergeschoss der Ausstellung liegt der Fokus auf namhaften Designerinnen und Gestaltern. Darunter Erich Krause, einer der bedeutendsten Keramikdesigner der DDR, der aus Bunzlau stammt, das bis heute berühmt ist für die dort typische Keramik. Für die beiden Gestalterinnen Liselotte Kantner und Margarethe Jahny war Görlitz eine Station auf ihrer Flucht. Beide haben Klassiker geschaffen, Kantner im Westen die sogenannte "Melitta-Kanne" und Jahny im Osten das erst nach der Wende zur Ikone gewordene Mitropa-Geschirr – beziehungsweise "Rationell", wie es seine Schöpferin genannt hat.

Entwürfe der Kaffeekanne "Form 20 – Hamburg" von Lieselotte Kantner für die Melitta-Werke Bentz & Sohn.
Auch den Designer Richard Süßmuth führte sein Fluchtweg durch Görlitz, so Co-Kurator Marian Reisinger. Er habe seine Erinnerungen an dramatische Erlebnisse 1945 niedergesschrieben und an verschiedene Organisationen verschickt, damit diese die von den Schlesiern erlebten Traumata auf die Tagesordnunge setzen sollten. In der Ausstellung ist Süßmuth mit seinen virtuos geschliffenen Gläsern vertreten.
Deutsch–polnische Gemeinsamkeiten
Glas ist auch das Material, mit dem Eryka Trzewik-Drost und Jan Sylwester Drost gearbeitet haben, die nach dem Krieg auf polnischer Seite die Traditionen vor Ort weitergeführt haben und beispielsweise Pressglas-Kreationen perfektioniert haben.

Glas-Entwürfe von Richard Süßmuth.
Damit wird das Bild, das die Ausstellung im Schlesischen Museum zeigen will, am Ende komplettiert: Sie erzählt sowohl von Umbrüchen als auch von Kontinuitäten nach 1945 in Leben und Schaffen deutscher sowie polnischer Künstlerinnen und Künstler, die der Verlust der Heimat nach Kriegsende mit sich gebracht haben.
Die Ausstellung
"Umbrüche 1945. Schlesische Künstlerinnen und Künstler zwischen Erinnerung und Neubeginn"
Sonderausstellung
17. Mai 2025 bis zum 4. Januar 2026
Schlesisches Museum Görlitz
Brüderstraße 8, 02826 Görlitz
Öffnungszeiten:
Dienstag bis Donnerstag: 10 bis 17 Uhr
Freitag bis Sonntag: 10 bis 18 Uhr
Die Ausstellung ist in Kooperation mit dem Muzeum Karkonoskie Jelenia Góra entstanden.
Quelle: MDR KULTUR (Grit Krause), Schlesisches Museum Görllitz
Redaktionelle Bearbeitung: op, lm