
Rheinland-Pfalz Warum Menschen mit Behinderungen sich so wenig politisch engagieren können
Andreas Kaiser und Thorsten Jechel haben beide Spastik und wollen sich ehrenamtlich in der Politik engagieren. Bei dem einen funktioniert das, bei dem anderen scheitert es am Geld.
Thorsten Jechel aus Neuwied möchte sich gerne für die Freie Wählergruppe in Kettig (Kreis Mayen-Koblenz) engagieren. Vor allem die Barrierefreiheit im Ort will er aktiv mitgestalten. Er arbeitet in dem Ort - und kennt sich als Rollstuhlfahrer bestens aus. Doch sein Ehrenamt scheitert an den Kosten, die für seine Taxi-Fahrten aus Neuwied anfallen würden.

Thorsten Jechel (40) arbeitet in einer Werkstatt für behinderte Menschen und ist im Vorstand der LAG Werkstatträte in RLP für Menschen mit Behinderungen.
"Wir sind doch Experten in eigener Sache"
Andreas Kaiser aus Rutsweiler am Glan im Landkreis Kusel bekommt seine Assistenz-Leistungen für sein ehrenamtliches politisches Engagement vom Sozialministerium bezahlt. Er sitzt im Landesbeirat zur Teilhabe von Menschen mit Behinderungen des rheinland-pfälzischen Sozialministeriums. Dort berät er die Landesbehindertenbeauftragte von Rheinland-Pfalz vor allem in Fragen zu Werkstätten für behinderte Menschen. Er sagt aber: "Wir sind doch Experten in eigener Sache." Und würde deswegen bei politischen Prozessen auch gerne selbst mitentscheiden können.

Andreas Kaiser (53) arbeitet in einer EDV-Dienstleistungsgruppe bei den Westpfalz-Werkstätten und ist im Vorstand der LAG Werkstatträte in RLP für Menschen mit Behinderungen.
Zu wenig Beteiligung in der Politik
Menschen mit Behinderungen wirken bei politischen Prozessen und Entscheidungen, die sie selbst betreffen, noch immer wenig mit. In Rheinland-Pfalz wie auch bundesweit. Weil es ihnen oft schwer gemacht wird. Das sagt Ellen Kubica, Landesbeauftragte für Menschen mit Behinderungen in RLP, und bezieht sich damit auf einen Bericht des Deutschen Instituts für Menschenrechte.
Dieser Bericht überprüft, ob Deutschland die seit 2009 geltende UN-Behindertenrechtskonvention auch umsetzt. Darin wird unter anderem kritisiert, dass Menschen mit Behinderungen, die sich ehrenamtlich in der Politik engagieren möchten, dies oft nicht wahrnehmen können. Denn nötige Assistenz-Leistungen, die für ein mögliches Engagement anfallen, können finanziell nicht gestemmt werden.

Ellen Kubica ist seit 2023 Landesbeauftragte für die Belange der Menschen mit Behinderungen in Rheinland-Pfalz.
Politisches Ehrenamt scheitert am Geld
Dass Thorsten Jechel sich politisch nicht engagieren kann, liegt an den hohen Fahrtkosten für das Taxi. Die Partei trifft sich laut ihm drei bis viermal im Monat abends in Kettig. Bedeutet für ihn sechs bis acht Einzelfahrten mit dem Taxi von Neuwied nach Kettig und zurück, die er bezahlen müsste, da er bereits am frühen Nachmittag Feierabend hat vor den Treffen. Drei Einzelfahrten im Monat mit dem Taxi bekommt er nach eigenen Angaben immer von der Kreisverwaltung über die Soziale Teilhabe bezahlt. Für die restlichen Fahrten muss er selbst aufkommen.
Thorsten Jechel arbeitet bei den Förder- und Wohnstätten in Kettig als Korbmacher in der Werkstatt für behinderte Menschen. Er verdient nach Angaben der Landesarbeitsgemeinschaft für Werkstatträte in RLP (LAG WR RLP) durchschnittlich 220 Euro im Monat. Eine einzelne Taxi-Fahrt nach Kettig koste ihn durchschnittlich 35 Euro. "Ich würde gerne mehr machen, aber das lässt mein finanzieller Rahmen nicht zu", so Jechel.
Andreas Kaiser fordert stabiles Gehalt
Andreas Kaiser braucht bei seinem politischen Ehrenamt nach eigenen Angaben immer eine Begleitperson, die für ihn mit schreibt. Denn er vertritt die LAG WR RLP im Landesbeirat und muss die Informationen an den Vorstand weitergeben. Hier übernimmt das Sozialministerium die Kosten auf Antrag.
Aber auch Andreas Kaiser stößt mit seinem monatlichen Einkommen von etwa 220 Euro an finanzielle Grenzen. Läuft es schlecht in seiner Werkstatt, wenn zum Beispiel wie in der Corona-Pandemie die Kunden ausbleiben, dann verdient er sogar noch weniger, erzählt er. Der Werkstatt seien dann wegen der fehlenden Einnahmen die Hände gebunden. Deswegen fordere er, dass die Werkstätten für Menschen mit Behinderung in Bezug auf das Gehalt staatlich subventioniert werden. Damit alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein stabiles Einkommen haben.
"Mainzer Erklärung": Kosten für Ehrenamt in der Politik müssen übernommen werden
Bei einer Pressekonferenz des rheinland-pfälzischen Sozialministeriums betont Ellen Kubica, wie wichtig ehrenamtliches Engagement von Menschen mit Behinderungen in der Politik ist: "Gelebte Demokratie bedeutet die Teilhabe von Menschen an Entscheidungsprozessen, die ihre Lebenswelt beeinflussen." In der sogenannten "Mainzer Erklärung" fordert sie gemeinsam mit den Behindertenbeauftragten aller Länder, dass sich die Strukturen für Menschen mit Behinderungen verbessern müssen.
Vor allem die anfallenden Assistenz-Kosten für ein politisches Ehrenamt sollen laut Ellen Kubica fest übernommen werden. Bisher ist das nach Angaben von Jürgen Dusel gesetzlich nicht festgeschrieben, sondern eine Ermessensentscheidung. Dusel ist Beauftragter der Bundesregierung für die Belange von Menschen mit Behinderungen. Bei der Ermessensentscheidung prüfe zum Beispiel der Träger der Eingliederungshilfe, ob die Menschen mit Behinderungen auch in anderer Weise durch Familie oder Freunde unterstützt werden könnten.
Nach Angaben von Ellen Kubica startet das Deutsche Institut für Menschenrechte jetzt auch in Rheinland-Pfalz eine Monitoring-Stelle. Diese Stelle soll überprüfen, ob die UN-Behindertenrechtskonvention auch in Rheinland-Pfalz umgesetzt wird.
Sendung am Fr., 23.5.2025 16:00 Uhr, Der Tag in RLP, SWR1 Rheinland-Pfalz