
Rheinland-Pfalz Anne-Frank-Ausstellung Prüm: "So eine Geschichte darf nicht in Vergessenheit geraten"
80 Jahre nach Kriegsende hält eine Ausstellung in Prüm das Gedenken an das Schicksal der Jüdin Anne Frank am Leben. Das Besondere: Jugendliche führen andere Jugendliche hindurch.
Ein ganz normaler Tag im Leben von Siebtklässlern: Sie stehen auf, fahren mit dem Bus zur Schule, danach ins Kino, ins Schwimmbad, gehen mit ihren Haustieren spazieren, bevor es zum Abendessen geht. Doch das meiste davon ist durchgestrichen.

Die Peer Guides führen eine 7. Klasse der Realschule durch die Ausstellung.
Denn was für die Prümer Schülerinnen und Schüler heute selbstverständlich ist, war für Jüdinnen und Juden in der NS-Zeit verboten: Ihnen wurden Haustiere untersagt, sie durften nur noch in ausgewählten Geschäften Lebensmittel kaufen, keine öffentlichen Verkehrsmittel nutzen, irgendwann nicht mehr zur Schule gehen.
Das Spiel, das Louisa Kling und Juline Neigum aufgebaut haben, soll anschaulich machen, unter welchen Einschränkungen Anne Frank ihre Kindheit verbracht hat. "Am Ende bleibt nur Aufstehen, Schlafen, und nur zum Teil Essen übrig", sagt Louisa.

Alles, was die Schüler heute gerne machen, hätten sie als Juden in der NS-Zeit nicht tun können.
Peer Guides führen Klasse durch die Ausstellung
Sie hat sich freiwillig gemeldet als Peer Guide, als Ausstellungsführerin, die ihren Peers - Gleichaltrigen also - die Wanderausstellung "Deine Anne. Ein Mädchen schreibt Geschichte." in der Sankt-Salvator-Basilika Prüm näherbringt.

Louisa hat sich freiwillig als Peer Guide gemeldet und dabei viel dazugelernt.
Schon in der Grundschule hatte sie sich mit Anne Frank beschäftigt und jetzt als Zehntklässlerin auch auf dem Gymnasium mit dem Holocaust: "Allerdings muss ich sagen, dass man hier in der Ausstellung noch einmal sehr viel lernt. Gerade auch dazu, wie das Leben damals für die Jüdinnen und Juden lief."
Beim Spiel, in dem nach und nach das ausgestrichen wird, was sie selbst gerne tun, würden die meisten Schülerinnen und Schüler dann auch geschockt reagieren, was Kinder wie Anne Frank damals alles nicht mehr machen durften. "Man merkt, wie viele Freiheiten wir heute haben", sagt Louisa.
"Glaubt ihr, das war schlimm für die Menschen, die ganze Zeit im Haus zu bleiben?", fragt sie die Schulklasse. "Ich glaub schon. Da ist einem nicht nur langweilig, da wird man, glaub ich, irgendwann auch verrückt." Dann erzählen sie und Kollegin Juline, wie Anne sich trotzdem das Leben schön gemacht hat, indem sie beispielsweise Kinokarten gebastelt hat.
Viele Fragen zur NS-Zeit an die Schüler
Während sie aus Anne Franks Leben erzählen, stellen sie viele weitere Fragen, auf die die Schüler teilweise eine Antwort haben: "Warum sind manche Familienmitglieder in Auschwitz, andere in New York gestorben?" - "Auschwitz war ein KZ in Polen. Wahrscheinlich sind aber auch welche ins Ausland gegangen, als es in Deutschland schlimm wurde."

Peer Guide Juline findet es spannend, wie andere Schülerinnen und Schüler auf die Geschichte von Anne Frank reagieren.
Richtig, sagt Juline. Für die Realschülerin ist wichtig, dass sie Gleichaltrige vor sich hat: "Mich hat interessiert, wie Schüler darauf reagieren, die vielleicht noch nichts über Anne Frank wussten."
Das Prinzip der Peer Guides habe sie vor allem gereizt: "Ich als Schülerin würde von einem Erwachsenen ungern so viele Fragen beantworten. Mit anderen Schülern fühle ich mich offener, zu reden. Ich glaube, so ist es für die Klassen schöner."
Intensive Ausbildung für Peer Guides durch Zentrum
Dieses Prinzip ist Teil der Wanderausstellung, die das Anne-Frank-Zentrum Berlin konzipiert hat. Nach Prüm hat es ein Projektkreis aus Kirche, Schulen und anderen sozialen Einrichtungen geholt, sagt Carolin Hostert-Hack von der Katholischen Erwachsenenbildung Westeifel: "Die eine Person hat die andere Person mit einer Idee angesteckt und so inspiriert."

Carolin Hostert-Hack ist eine der Organisatorinnen, die die Ausstellung nach Prüm gebracht haben.
Insgesamt 30 Jugendliche von sechs Schulen in und um Prüm wurden ausgewählt oder haben sich freiwillig gemeldet und wurden dann zwei Tage intensiv als Peer Guides ausgebildet. Die führen aber nicht nur Schulklassen durch die Ausstellung, sagt Hostert-Hack: "Auch die Erwachsenen finden es sehr besonders, dass sich junge Menschen mit diesem Thema beschäftigen."
Dass die Peer Guides auch im ähnlichen Alter wie Anne Frank sind, ist aber auch entscheidend, sagt Guide Louisa: "Wenn ein Erwachsener das Tagebuch geschrieben hätte, könnte man sich wahrscheinlich nicht so gut hineinversetzen."
Verfolgung und Ermordung von Juden nicht ausgespart
Sie steht jetzt vor dem Modell des Verstecks der Familie Frank in Amsterdam. Dieser Teil der Ausstellung berührt sie sehr, sagt sie: "Hier wird klar, wie sie sich verstecken mussten. Wie leise sie sein mussten. Wie schwer das war, mit so vielen Menschen in einem Versteck zu sein."

In der Ausstellung gibt es auch ein Modell des Verstecks, in dem die Frank-Familie etwas mehr als zwei Jahre gelebt hat.
Auch Anne Franks Tod im KZ in Bergen-Belsen an einer Krankheit wird bei der Führung nicht ausgespart. Louisa berichtet davon: "Man sagt, dass es ganz schlimm aussah, wenn sie krank waren, ihre Augen waren ganz schmal und die Knochen kahl. Aber würdet ihr sagen, dass man das trotzdem als Mord ansehen kann?"
Zuerst schütteln die Jugendlichen den Kopf, denken dann noch mal nach. "Doch, eigentlich schon. Sie wurden ja gezwungen, dorthin zu gehen." Louisa zeigt auch auf ein Foto aus einem KZ, das einen Leichenhaufen zeigt. Der war den Schülerinnen und Schülern noch nicht aufgefallen: "Sind das tote Menschen?", fragt ein Junge tonlos.
Lehren für die Gegenwart
Im zweiten Teil der Ausstellung geht es darum, was man auch heute noch aus Anne Franks Geschichte lernen kann. Die Geschehnisse von damals können auch auf heute und die heutige Politik übertragen werden, findet Louisa.

Auch Anne Franks Bedeutung für die Gegenwart ist Thema der Ausstellung.
Sie und Juline lassen die Jugendlichen aufschreiben, was sie über sich selbst sagen und was sie über andere denken. Zu welchen Gruppen sie sich zugehörig fühlen. Wer manchmal ausgeschlossen wird und was Diskriminierung und Rassismus sind.

Die Schülerinnen und Schüler sollen aufschreiben, was sie selbst und andere ausmacht.
"Ich hab viel mitgenommen", sagt ein Schüler bei einer Feedbackrunde am Ende. Solche Rückmeldungen bekommen Louisa und Juline öfter, sagen sie. Angesichts von im Moment viel in den Sozialen Medien verbreitetem Antisemitismus und Holocaustleugnung ist das vielleicht ein bisschen überraschend.
"Man bekommt schon mit, dass Leute im Alltag Späße darüber machen, was vielleicht durch Social Media noch mal verstärkt wird. Dann sage ich auch, dass man mal drüber nachdenken sollte, was man sagt. Aber es kommt nicht extrem oft vor", sagt Louisa dazu.
Ausstellung ist Erfolg
Antisemitismus sei in der Eifel nicht so verbreitet, sagt Carolin Hostert-Hack, das habe auch die Polizei bestätigt. Das Anne-Frank-Zentrum hatte nämlich empfohlen, mit der Polizei vorher über die Sicherheit der Ausstellung zu sprechen.

Jeder kann etwas tun und sich gegen Diskriminierung wehren, auch das ist eine Botschaft der Anne-Frank-Ausstellung in Prüm.
Die habe das abgecheckt und das gebe ein gutes Gefühl. Bisher gab es keine Vorkommnisse, man müsse aber mit so etwas rechnen. "Es beruhigt aber, dass diese Ausstellung hier in der Eifel von den Leuten sehr geschätzt wird." Bisher gab es 4.000 Besucher, auch von weiter weg kämen die Leute. Bis zum Ausstellungsende am 25. Mai werden noch ein paar mehr erwartet
Für Peer Guide Louisa ist das eine Bestätigung: "Ich finde, dass so eine Geschichte nicht in Vergessenheit geraten darf."

Die Peer Guides haben alle ein bedeutsames Zitat Anne Franks auf dem Rücken stehen.
Sie will auch weiter über den Holocaust aufklären. Getreu eines Zitats von Anne Frank - "Wie wunderbar es ist, dass niemand einen Moment warten muss, bevor er anfängt, die Welt zu verbessern." - sagt sie: "Wenn jeder etwas macht, ist man eine große Gemeinschaft, die zusammen etwas ausrichten kann. Das finde ich sehr wichtig."
Sendung am Di., 20.5.2025 14:00 Uhr, SWR4 am Nachmittag, SWR4