Schutzhelme mit dem Schriftzug «thyssenkrupp» liegen auf einem Tisch im Besucherzentrum «Oceanworld» auf der Werft von Thyssenkrupp Marine Systems (TKMS)

Nordrhein-Westfalen Drastischer Umbau: Thyssenkrupp will Geschäftsbereiche auslagern

Stand: 27.05.2025 08:56 Uhr

Einer der wichtigsten Arbeitgeber im Ruhrgebiet streicht eventuell noch mehr Jobs als bisher bekannt. Die Bild-Zeitung schreibt, dass Thyssenkrupp weitere Sparten verkaufen will - unter anderem den Stahlhandel. Der Konzern bestätigte eine strategische Neuaufstellung.

Der Industriekonzern Thyssenkrupp (Duisburg/Essen) wird seit Längerem umstrukturiert - und steht jetzt vor einem noch drastischeren Umbau. Der Vorstand wolle das Unternehmen in eine Holding überführen und damit die Basis schaffen, um weitere Teile zu verkaufen. Das berichtete die "Bild am Sonntag" mit Verweis auf eine Person, die in Konzernkreisen mit den Vorgängen vertraut sei.

ThyssenKrupp: Gerüchte über Zerschlagung

Thyssenkrupp hat bestätigt, dass es im Unternehmen eine massive Umstrukturierung geben wird, die alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter betrifft. Weltweit arbeiten 96.000 Menschen in dem Konzern.

Jörg Marksteiner aus der WDR Wirtschaftsredaktion erklärt: "Kern der Überlegungen ist, dass alle Geschäftsbereiche wie Autozulieferung, Stahlhandel, Marineschiffbau oder Anlagenbau schrittweise zu eigenständigen Firmen werden sollen." An denen könnten sich dann weitere Investoren beteiligen, etwa bei einem Börsengang. Das biete den Beschäftigten bessere Wachstums- und damit auch Zukunftsperspektiven. Dieser Prozess könne einige Jahre dauern, hieß es von Konzernseite.

Thyssenkrupp kündigte auch an, an allen Sparten die Mehrheit behalten zu wollen - mit Ausnahme des Stahlgeschäfts. Dieser Bereich soll - wie schon länger angekündigt - zu 50 Prozent an einen Investor verkauft werden.

Jörg Marksteiner fasst weiter zusammen: "Klar ist aber auch, die Zentrale in Essen würde bei dieser Neuaufstellung nur noch als eine Art Holding arbeiten. Bis Ende September soll das Konzept im Aufsichtsrat vorgestellt werden."

Keine Aussage zum Stellenabbau

Was das konkret für die Mitarbeiter bedeutet, ließ Thyssenkrupp zunächst offen. Von einem zusätzlichen Arbeitsplatzabbau ist bislang nicht die Rede. Derzeit verhandeln Management und IG Metall über den Wegfall und die Ausgliederung von 11.000 der 26.000 Stellen im Stahlgeschäft. 

Laut Bild-Zeitung soll die Zentrale von aktuell 500 auf 100 Mitarbeiter verkleinert werden, dazu seien weitere Streichungen in der Verwaltung mit etwa 1.000 Beschäftigten geplant.

Stahlhandel soll laut Bericht an die Börse

Der Stahlhandel soll laut "Bild am Sonntag" an die Börse gebracht werden - er werfe nur wenig Gewinn ab. Der Stahl-Bereich hat 16.000 Mitarbeiter und einen Jahresumsatz von zuletzt 12,1 Milliarden Euro. Anfang des Monats hatte Konzernchef Miguel López noch gesagt, der Stahlhandel sei Kerngeschäft von Thyssenkrupp.

Zusätzlich soll ein Teil der Autozulieferer-Sparte geschlossen oder verkauft werden. "Nur ein Rumpf bleibt im besten Fall", zitierte die "Bild am Sonntag" einen Manager. Die Pläne müssten noch vom Aufsichtsrat gebilligt werden.

Konzernchef López will Vertragsverlängerung

Mit dem Umbau einhergehen soll laut Bild am Sonntag eine Verlängerung des Vorstandsvertrags von Konzernchef Miguel López. Dies soll der Aufsichtsrat bei seiner Sitzung am 16. September beschließen, hieß es demnach aus hochrangigen Konzernkreisen.

Was macht Thyssenkrupp

Thyssenkrupp ist ein Industrieunternehmen, das in mehreren Bereichen tätig ist – von der Herstellung von Stahl und Autoteilen über den Handel mit Materialien bis hin zu U-Booten und Anlagen für die Industrie. Das sind die fünf Geschäftsbereiche:

Grafik veranschaulicht verschiedene Bereiche von Thyssenkrupp

Die verschiedenen Bereiche von Thyssenkrupp

  • Automotive Technology (Antriebswellen, Kupplungen)
  • Decarbon Technologies (Elektrolyseure = Geräte, die mit Strom Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff aufspalten)
  • Materials Services (Handel mit Stahl, Edelstahl, Aluminium, Kunststoffen und Rohstoffen)
  • Steel Europe (roher Stahl, Spezial-Stähle, verarbeiteter Stahl wie Konservenbüxen und Getränkedosen)
  • Marine Systems (U-Boote)

Eine Chance für einzelne Bereiche?

Marc Tüngler, Aktionärsschützer und langjähriger Firmenkenner der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz sagt, die Zerschlagungspläne kämen nicht überraschend. Thyssenkrupp Elevators (Aufzüge, Rolltreppen) seien schon an die Börse gebracht worden, außerdem Thyssenkrupp Nucera (Elektrolyseure = Geräte, die mit Strom Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff aufspalten). Bei Stahl suche man einen Investor; der tschechische Milliardär Daniel Kretinsky sei schon eingestiegen. Andere Bereiche wie zum Beispiel Marine sollen jetzt an die Börse, so Tüngler.

  "Man erkennt eigentlich, dass der Weg der Zerschlagung schon längst eingeschlagen worden ist.

Marc Tüngler, Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz

Tüngler spricht eher von einer Aufspaltung als von einer Zerschlagung, aus Aktionärssicht könnte das Vorteile haben. Er glaube, dass die Schwierigkeiten im Stahlgeschäft den gesamten Konzern belasten und Thyssenkrupp erst entlastet werde, wenn für den Stahl eine Zukunft gefunden werde. Die Schwierigkeiten im Stahlgeschäft würden Thyssenkrupp "wie Blei um die Schultern" hängen.

Hunderte Millionen Euro an Subventionen für Stahlsparte

Der Bereich Steel Europe soll auf neue, "grüne" Technologien umrüsten, um künftig Chancen zu haben, in Duisburg gewinnbringend Stahl zu produzieren. Hunderte Millionen Euro an Subventionen vom Land und Bund sind dafür schon an Thyssenkrupp geflossen. Offenbar musste sich das Unternehmen aber nicht verpflichten, Arbeitsplätze zu erhalten, um die Fördermillionen zu bekommen.

SPD: "Drama für das Ruhrgebiet"

Sarah Philipp, die Vorsitzende der NRW-SPD, bezeichnete die Berichte über eine mögliche Zerschlagung des Thyssenkrupp-Konzerns als "Alarmzeichen für den Industriestandort Nordrhein-Westfalen". Der SPD-Fraktionsvorsitzende im Düsseldorfer Landtag, Jochen Ott, nannte die Pläne ein "Drama für das Ruhrgebiet". Konzernchef Miguel Lopez sei "der schlechteste Manager, den es in Deutschland gibt", so Ott. NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) warf er vor, bislang zu passiv gewesen zu sein. "Er war stets ein Zuschauer ohne eigenen Anspruch auf Gestaltung."

Arbeitnehmerflügel fordert Beistand aus der Politik

Auch der CDA-Bundesvorsitzende Dennis Radtke vom Arbeitnehmerflügel der CDU forderte im WDR-Morgenecho, dass die Politik Erwartungen an den Konzern formuliere - wie den Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen.

Das Verhalten, dass Herr López in den letzten Monaten gegenüber den Betriebsräten und der IG Metall an den Tag gelegt hat, ist nicht das, was meine Erwartungshaltung ist an Montanmitbestimmung, und das kann und muss Politik auch artikulieren.

Dennis Radtke (CDU), CDA-Bundesvorsitzender

Soll das Land bei Thyssenkrupp einsteigen?

Ott und Philipp sprachen sich beide für einen Einstieg des Landes NRW bei dem Konzern aus. Der NRW-Landtag wird sich auf Antrag der SPD-Fraktion am Mittwoch jeweils im Wirtschafts- und im Arbeitsausschuss mit dem Thema befassen.

Für die Mitarbeitenden von Thyssenkrupp bedeutet das alles eine große Unsicherheit. Tekin Nasikkol, Betriebsratsvorsitzender Thyssenkrupp Steel, sagte: "Stahlarbeiter sind Leid und Kummer gewohnt." Wieder habe man die Info aus der Presse, wisse nicht, was los ist. Das tue nicht gut und irritiere den ganzen Konzern.

Die Unruhe in der Belegschaft ist extrem."  

Tekin Nasikkol, Betriebsratsvorsitzender Thyssenkrupp Steel

Unsere Quellen:

  • Nachrichtenagentur AFP
  • Bild am Sonntag-Bericht: Nach 214 Jahren wird Thyssenkrupp zerschlagen
  • WDR-Anfrage bei Thyssenkrupp
  • Mitteilung von Thyssenkrupp zur Neuaufstellung
  • Interview mit Tekin Nasikkol, Betriebsratsvorsitzender Thyssenkrupp Steel