Atomkraftwerk Tihange in Belgien

Nordrhein-Westfalen Belgiens "Rissreaktor" Tihange: Opposition im Landtag schlägt Alarm

Stand: 22.05.2025 16:21 Uhr

Belgien will alte Atomkraftwerke nun doch weiter betreiben. Umweltminister Krischer hatte gesagt, er "respektiere" die Entscheidung - und musste sich am Donnerstag im Plenum dafür rechtfertigen.

Von Nina Magoley

"Jede Stadt in NRW wird betroffen sein", sagte der FDP-Abgeordnete Werner Pfeil. Er sprach von einem möglichen Unfall an einem der alten - und teils maroden - belgischen Atomkraftwerke nahe der deutschen Grenze. An den allermeisten Tagen wehe der Wind aus westlicher Richtung, austretende Strahlung werde sich schnell über das Land verteilen.

Im Landtag NRW ging es am Donnerstagmorgen um die Ankündigung Belgiens, die alten Atomkraftwerke Tihange 3 und Doel 4 noch zehn Jahre lang, bis 2035, weiterlaufen zu lassen. Ursprünglich war deren Abschaltung für dieses Jahr vorgesehen.

Landesregierung "respektiert" Entscheidung

Die Entscheidung der belgischen Regierung für eine Verlängerung löse "konkrete Ängste" bei den Menschen in der Region aus, sagte Pfeil. Die Landesregierung hatte allerdings kürzlich erklärt, sie "respektiere" die Entscheidung Belgiens. Anlass für die FDP, das Thema in einer "Aktuellen Stunde" im Plenum zu debattieren.

Jodtabletten im Schrank

Dabei wurde deutlich: Auch Politikern aus CDU und FDP, deren Parteien der Atomkraft bislang positiv gegenüber stehen, bekommen Bedenken, wenn sie persönlich dem Risiko ausgesetzt sind, das mit dieser Form der Energiegewinnung auch daher kommt. Fast alle Redner an diesem Morgen leben in der Region Aachen - und alle berichteten von dem Päckchen Jodtabletten, das sie seit Jahren zuhause im Medikamentenschränkchen aufbewahren.

Schon 2017, erinnerte Pfeil, hatte es massive Proteste der Menschen in NRW gegen die oft als "Schrottreaktoren" bezeichneten Anlagen Tihange und Doel in Belgien gegeben, die gerade mal 60 Kilometer von Aachen entfernt stehen: Untersuchungen hatten ergeben, dass die heute über 40 Jahre alten Atommeiler bedenkliche Risse aufweisen, immer wieder wurden Störfälle bekannt. In der Region Aachen werden die Bewohner seitdem mit kostenlosen Jodtabletten versorgt, die im Fall eines Atomunfalls eine erste Schutzmaßnahme sein sollen.

FDP stellt Forderungen an Landesregierung

Zwar war die FDP auf Bundesebene zuletzt selber für eine Verlängerung der Atomkraft in Deutschland. Angesichts des greifbaren - und immer wieder durch Untersuchungen bestätigten - Risikos der betagten Atommeiler hinter der belgischen Grenze will sie aber nun, dass die Landesregierung sich klar gegen Belgiens Entscheidung positioniere, Beteiligung einfordere und "konkrete Schutzmaßnahmen" ergreife.

Die CDU erklärte, die Landesregierung sei zu dem Thema sehr wohl im Kontakt mit Belgien. In der "Deutsch-Belgischen Nuklearkommission" würden "alle Fragen diskutiert", sagte der Abgeordnete Christian Untrieser.

Kritik an Umweltminister Krischer

Belgisches Atomkraftwerk Tihange

"Rissreaktor" Tihange

Kritik an der Landesregierung kam am Donnerstag von der SPD: "Wo ist der kämpferische Krischer geblieben?", fragte der Abgeordnete Alexander Vogt in Richtung des grünen Umweltministers Oliver Krischer, der sich früher als Oppositionspolitiker immer vehement gegen die belgischen "Rissreaktoren" geäußert hatte. Wenn Krischer länger "untätig" bliebe, so Vogt, sei das "unverantwortlich für das Land". Er wies auf ein bestehendes Beteiligungsrecht für Nachbarstaaten hin, das auch in diesem Fall gelte.

Tatsächlich ist es nach der EU-Richtlinie zur "grenzüberschreitenden Umweltverträglichkeitsprüfung" (UVP) möglich, dass sich Länder miteinander abstimmen, wenn ein Projekt "erhebliche Umweltauswirkungen in einem anderen Staat haben kann". 2022 hatte die Landesregierung angekündigt, sich bei der Laufzeitverlängerung der belgischen Atomreaktoren Tihange 3 und Doel 4 an einer solchen UVP zu beteiligen.

Krischer: "Schlag ins Kontor"

Oliver Krischer (Grüne), Minister für Umwelt, Naturschutz und Verkehr NRW

Umweltminister Krischer

Der grüne Umweltminister Krischer rechtfertigte sich: Ja, die Meldung aus Belgien zur Verlängerung der Laufzeit sei "ein Schlag ins Kontor" gewesen, zumal der Reaktor Tihange 1 bereits 50 Jahre auf dem Buckel habe und der Betreiber selber wörtlich gesagt habe, dass ein Weiterbetrieb "undenkbar" sei.

"Wir werden selbstverständlich die Sicherheitsinteressen NRWs geltend machen", sagte Krischer. Nicht nur NRW, auch der Bund müsse sich beteiligen, darauf wolle die Landesregierung hinwirken.

Der Minister erklärte auch seine von den anderen Parteien kritisierte Äußerung: "Über ihren Energiemix entscheiden Nationalstaaten selber." Es gehöre zum "gelebten Europa", solche Entscheidungen der Nachbarstaaten zu respektieren.

Am Tag, als Belgien die Verlängerung bekannt gab, hatte Krischer ein längeres Statement abgegeben, in dem er auch erklärte: "Wir werden von Belgien wie bisher nachdrücklich die Einhaltung von Sicherheitsstandards einfordern. Hier darf es keine Rabatte geben, die werden wir nicht akzeptieren."

Landesregierung 2023: "Verlängerung abzulehnen"

Auf WDR-Nachfrage teilte das Umweltministerium mit, dass die Landesregierung schon 2023 eine Stellungnahme abgegeben habe. Darin äußerten Umweltminister Krischer und Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (Grüne) erhebliche Bedenken an der Sicherheit der Reaktoren Tihange 3 und Doel 4. Sie bezogen sich dabei auf einen Bericht des belgischen Energieministeriums.

Abgesehen von intransparenten Angaben zum Zustand der Bausubstanz bemängeln die beiden fehlende Nachweise zur Erdbebensicherheit und zur umweltgerechten Entsorgung von Kühlwasser. "Es bleibt festzuhalten", heißt es, "dass ein 1985 kommerziell in Betrieb gegangenes Kernkraftwerk nicht den Anforderungen heutiger Sicherheitsstandards standhalten kann." Diese Sicherheitsstandards seien auch durch Nachrüstungen nicht erreichbar. Fazit der Landesregierung damals: "Eine Verlängerung der Betriebsdauer über 40 Jahre hinaus ist abzulehnen."

Quellen:

Über dieses Thema berichten wir am 22.05.2025 auch im WDR Radio: Westblick, WDR 5 um 17.04 Uhr.