Ein Fabrikgelände der Firma Thyssenkrupp

Nordrhein-Westfalen Es gibt andere Lösungen für Thyssenkrupp! | MEINUNG

Stand: 27.05.2025 14:40 Uhr

Der Industriekonzern Thyssenkrupp soll zerschlagen werden! Kolumnist Ralph Sina findet, das ist der falsche Weg - für das Ruhrgebiet, aber auch für die Sicherheitspolitik in Deutschland.

Von Ralph Sina

Zunächst mal etwas ganz Persönliches: Ich habe zwar nie bei Thyssenkrupp gearbeitet, trotzdem bin ich irgendwie damit groß geworden. Ich wuchs in der Krupp-Stadt Essen auf. Witziger Zufall: Einer meiner Mitschüler in unserem Gymnasium neben der Zeche Zollverein war Philipp Thyssen - aus der gleichnamigen Mülheimer Familiendynastie. Als ich später für den WDR als Radiokorrespondent nach Washington kam, berichtete ich über Thyssenkrupp! Denn der Konzern plante in den USA sein erstes Walzwerk. Drei Jahre später waren die Weltkonzern-Träume aber schon wieder vorbei: Milliarden wurden in den USA und Brasilien in den Sand gesetzt. Von dem Desaster hat sich Thyssenkrupp bis heute nicht erholt.

Auch in Deutschland seit Jahren Sorgenkind

Thyssenkrupp ist einer der wichtigsten Arbeitgeber im Ruhrgebiet. Doch jetzt steht der ehemalige Stahlgigant vor einem gewaltigen Umbau: Dem Ruhrkonzern droht stärker denn je die Abwicklung! Denn nach Stahl und Schiffbau will Thyssenkrupp-Chef Lopez jetzt auch noch die verbliebenen Firmenteile ausgliedern: den Autozulieferer und den Handel mit Stahl. Völlig unklar ist, ob und welche Investoren sich für den Stahlhandel interessieren - angesichts der weltweiten Überproduktion von Stahl.

Thyssenkrupp streicht Arbeitsplätze | Aktuelle Stunde

Alle Geschäftsbereiche sollen schrittweise verselbstständigt und für eine Beteiligung durch Dritte geöffnet werden, bestätigt die Thyssenkrupp-Zentrale in Essen. Ausgerechnet jetzt, in einer Zeit der internationalen Kriegsgefahr! Wo die Bundeswehr dringend Stahl braucht, zum Beispiel für Drohnen und Flugabwehrsysteme. Die Thyssenkrupp-Stiftung als Großaktionärin sollte diesen Prozess stoppen.

Das wäre im Interesse unserer Sicherheit und natürlich im Interesse der Arbeiter und Arbeiterinnen. Denn seien wir mal ehrlich: Ein ehemaliger Stahlgigant als eine reine Holding, die nur noch ihre Beteiligung an den einzelnen Geschäften verwaltet und sich ansonsten ausschließlich auf die Förderung von grünen Technologien beschränkt, ist eine Karikatur.   

Thyssenkrupp-Chef Lopez handelt ohne Rücksicht auf die Beschäftigten

Miguel Angel Lopez Borrego, Vorstandsvorsitzender von Thyssenkrupp

Thyssenkrupp-Chef Miguel Lopez

Die Bild am Sonntag hatte berichtet: "Nach 214 Jahren wird Thyssenkrupp zerschlagen". Die Reaktion an der Börse lässt nicht lange auf sich warten: Seit Wochenbeginn steigt die Thyssenkrupp-Aktie. Ich glaube nicht, dass sich der Aufwärtstrend hält.

Abgespalten werden wohl nicht nur - wie bereits bekannt - die Marine- und Stahlsparte. Sondern auch der Stahlhandel mit seinen 16.000 Beschäftigten und einem Umsatz von 12,1 Milliarden Euro soll an die Börse gebracht werden. Die Verwaltung in Essen soll "verschlankt" und weitere Arbeitsplätze abgebaut werden. Mit anderen Worten: Es wird so lange abgespalten und verkauft, bis nichts mehr da ist, was auch nur annähernd groß genug ist, um zu überleben.

Was für ein Schlag für die Beschäftigten! Und die vielen Generationen vor ihnen, die das Unternehmen und das Ruhrgebiet mit harter Arbeit groß gemacht haben. Aus der Sicht von Konzernchef Lopez sind sie wohl vor allem lästige Kostenfaktoren, die es zu minimieren gilt.

Das ist doch keine Strategie, die dem Konzern und der Belegschaft eine Zukunft gibt, sondern eher ein geschäftiger Aktionismus, der die Börse beeindrucken soll. Getreu dem Motto: Der kranke Riese wird gezielt verzwergt, damit im Gemischtwarenladen endlich Ordnung herrscht. Das wird sich aber nicht bewahrheiten.

Die Politik ist schockiert, guckt aber bisher eher zu

Die Aufregung im Düsseldorfer Landtag ist zurecht groß: Wirtschaftsministerin Mona Neubaur und Arbeitsminister Karl-Josef Laumann sollen zu den Abwicklungsplänen von Lopez Stellung nehmen.

Von einem "Drama für das Ruhrgebiet" und "Alarmzeichen für den Industriestandort NRW" spricht die NRW-SPD und bezeichnet Konzern-Chef Miguel Lopez als den "schlechtesten Manager, den es in Deutschland gibt". Aus ihrer Sicht kümmert sich die schwarz-grüne Landesregierung viel zu wenig um den Konzern. "Stahl ist mehr als ein Werkstoff - er ist Teil unserer Identität", schreibt der Bochumer SPD-Chef Serdar Yüksel, dessen Vater bei Thyssenkrupp gearbeitet hat. Staatliche Unterstützung oder Beteiligung dürften kein Tabu sein, wenn es darum geht, eine strategisch zentrale Branche zu sichern. Unruhe herrscht auch beim  Arbeitnehmerflügel der CDU: Der EU-Abgeordnete, Dennis Radtke, aus Bochum fordert , Bundeskanzler Merz müsse das Thema zur Chefsache machen und verweist auf das Sondervermögen der Bundeswehr.

Welche Alternativen gäbe es für Thyssenkrupp?

Aber was könnten Bundeskanzler Merz in Berlin und NRW-Ministerpräsident Wüst in Düsseldorf konkret tun? Und wie könnte Brüssel vielleicht helfen? Schließlich war der Handel mit kriegsrelevantem Stahl ja der Gründungsstoff für den EU-Vorläufer, die Montan-Union! Mit dieser Frage habe ich Thyssenkrupp- und Stahlexperten in Duisburg, Berlin und Brüssel konfrontiert.

Das sind die Vorschläge, die mich überzeugt haben:

Was Merz tun kann

Friedrich Merz trifft den finnischen Premierminister Petteri Orpo und Präsident Alexander Stubb.

Bundeskanzler Friedrich Merz

Eine strategische Staatsbeteiligung des Bundes an den Stahl- und Marinesparten von Thyssenkrupp ist dringend wünschenswert! Zum Beispiel über die Kreditanstalt für Wiederaufbau. Allerdings nur unter der Bedingung verbindlicher Zusagen - zur Beschäftigung, zur regionalen Wertschöpfung und zur Weiterentwicklung kritischer Technologien, wie klimaneutralem 'grünen' Stahl. Denn nur so lässt sich verhindern, dass spekulative Investoren zukunftsentscheidende Kompetenzen herauslösen.

Und Hendrik Wüst?  

Portrait von Ministerpräsident Hendrik Wüst

NRW-Ministerpräsident Wüst

Wie wäre es mit einem "Zukunftspakt Industrie"? Gemeinsam mit den vom Strukturwandel besonders betroffenen Industrieregionen Duisburg, Hagen und Siegen könnte dieses Bündnis Investitionen, Förderstrukturen, Clusterpolitik, Qualifizierungsinitiativen und angewandte Forschung bündeln. Mit im Boot sitzen sollten Gewerkschaften, Unternehmensvertreter, die Wissenschaft, Kammern, Kommunen.

Vielleicht könnten Wüst, Neubauer, Laumann und der Leiter der Duisburger Wirtschaftsförderung Beck ja an einem runden Tisch unter der Überschrift "Heimatstahl" darüber nachdenken, wie eine konsequente Ausrichtung auf Wasserstoff-, Logistik- und Verteidigung zusätzliche Wachstumsfelder erschließen kann. Auch die Zenit-GmbH in der ehemaligen Thyssenkrupp-Villa in Mülheim, deren Geschäftsführer Hans H. Stein als ehemaliger Leiter der NRW-Vertretung in Brüssel sämtliche EU-Fördertöpfe kennt, kann in diesem Zusammenhang hilfreich sein.  

Was hat die EU damit zu tun?

Ein europäischer Souveränitätsfond für Stahl, Rüstungstechnologien und kritische Infrastruktur wäre hilfreich, um grünen Stahl aus Duisburg abzusichern. Ein Vorbild dafür gibt es bereits: das Chip- und Batterieprogramm der EU! Vor allem muss dafür gesorgt werden, dass  China nicht den EU-Markt mit dumpingfinanziertem schmutzigem Stahl fluten kann. 

Es gibt also denkbare Alternativen zum Kahlschlag von Lopez. Die Frage ist nur, wie bereit sind Merz und Wüst sich einzumischen?

Und: Wie beratungsresistent ist die Thyssenkrupp-Stiftung als Mehrheitsaktionär, die bisher den Lopez-Kurs voll unterstützt. Miguel Lopez ist sich laut Berichten von Insidern bereits sehr sicher, dass er auch in Zukunft das Sagen im geschrumpften Thyssenkrupp-Konzern haben wird.

Und angeblich freut er sich bereits auf seine "Krönungsmesse" vor 450 Managern nach der außerordentlichen Aktionärsversammlung im August in Madrid.

Was sagt ihr zu den neuen Umbauplänen von Thyssenkrupp? Lasst uns darüber diskutieren in den Kommentaren auf WDR.de oder auf Social Media.