
Nordrhein-Westfalen Diversity-Tag: Wie die Herkunft sich auf unsere Zukunft auswirken kann
Noch immer entscheidet die Herkunft über unsere Zukunft. Das wird vor allem in der Schule sichtbar. Warum das so ist. Und wie die Politik gegensteuern kann.
Sag mir, wo du aufwächst, und ich sage dir, ob du alle Möglichkeiten für die Zukunft hast: In Deutschland trifft das immer noch oft zu. Studien zeigen seit Jahren: Von Bildungsgerechtigkeit sind wir weit entfernt. Und die soziale Herkunft ist oft entscheidend.

Bana, 16 Jahre
Alessia, Sarah und Bana gehen auf das Landfermann-Gymnasium in Duisburg und haben am Dienstag ihre Abschlussprüfung in Deutsch geschrieben - entscheidend für die weitere schulische Laufbahn. Bis dahin war es ein Weg voller Hürden, erinnert sich Bana, die mit ihren Eltern aus Syrien nach Deutschland floh.
"Am Anfang war es natürlich schwer, weil ich noch gar kein Deutsch konnte. Ich konnte nur Arabisch und habe auch zuhause nur Arabisch mit meinen Eltern gesprochen."
Doch je länger sie in der Schule war, desto besser lernte sie Deutsch. Heute spricht die 16-Jährige fast akzentfrei.

Alessia, 15 Jahre
Alessia (15) kam im Alter von zwei Jahren aus Rumänien nach Deutschland. Sie lernte Deutsch im Kindergarten, ihre Mutter besuchte eine Sprachschule. Ihre Schwester (6) kam in die Grundschule, lernte schnell Deutsch.
"Wir sprechen selten Deutsch zuhause. Wenn Gäste kommen, die kein Rumänisch können, dann sprechen wir gerne Deutsch, um die Gäste nicht zu vernachlässigen. Wir versuchen aber, die deutsche Sprache auch meinen Eltern beizubringen, näherzubringen. Sie können Deutsch, aber mit Akzent. Wir versuchen, beide Sprachen beizubehalten."
Eltern können kaum helfen
Trotzdem können ihre Eltern ihr nicht so oft helfen bei den Hausaufgaben. "Sie lesen das und verstehen das auch, aber sie können nicht viele Ratschläge geben, weil sie nicht das Gleiche in der Schule gemacht haben." Hilfe bei den Hausaufgaben übernimmt dann ihre ältere Schwester.
Alessia sagt, sie sei zwar schlechter in der Schule als ihre Schwester. "Ich bemühe mich aber trotzdem. Das war bei uns schon immer so, dass wir in unserer Familie immer das Beste gegeben haben. Ich habe dadurch einen gewissen Druck. Der bringt mich aber auch weiter."
Nach der Schule will Alessia Kinderpsychologie studieren. Falls das nicht klappt, will sie Erzieherin werden.

Sarah, 15 Jahre alt
Sarahs Papa kommt aus dem Kosovo, hat Betriebswirtschaftslehre studiert. Ihre Mutter ist Deutsche mit Vorfahren in Kroatien. Sarah ist in Deutschland geboren. Zuhause sprechen sie nur Deutsch. Sie sagt, es sei kein Problem gewesen, die zehnte Klasse zu erreichen - auch dank der Hilfe ihrer Geschwister.
"Von mir erwartet man nicht, dass ich ausländisch bin. Manchmal sind die Leute sogar schockiert, wenn ich das sage. Weil ich den Nachnamen meiner Mama habe - und der ist halt deutsch. Wenn ich dann erzähle, ich habe neun Geschwister und bin Roma, gibt es schockierende Blicke."
Sie wünscht sich mehr Offenheit und Akzeptanz - ohne Vorurteile. Und sie hat schon eine klare Vorstellung von ihrer Zukunft: Sarah will Sportwissenschaften studieren.
Soziale Herkunft entscheidet über Bildungserfolg
Alessias, Sarahs und Banas Geschichten sind positive Beispiele, dass die soziale Herkunft nicht immer entscheidend ist für schulischen Erfolg. Und doch: Noch viel zu oft hängt dieser in Deutschland von sozioökonomischen Faktoren ab. Experten sagen, stärker als in vielen anderen Industrieländern.
Fakt ist: Menschen aus akademischen Haushalten haben häufiger einen höheren Schulabschluss. 54 Prozent haben sogar einen Hochschulabschluss. Doch wenn die Eltern selbst ein niedriges Bildungsniveau haben, absolvieren gerade einmal 17 Prozent ein Studium, weitere 17 Prozent bleiben sogar ohne Ausbildung.
Aber warum ist das so? Die neue Bundesbildungsministerin Karin Prien sieht einen Zusammenhang mit der Zuwanderung der vergangenen Jahre: "Wir sind zu schlecht dabei, Kinder schon gut vorbereitet in die Schule zu bringen. Und wir sind zu schlecht dabei, sie so auf die weiterführenden Schulen vorzubereiten, dass sie dann wirklich eine Chance haben. Und das ist halt von sozialer Herkunft und oft auch von migrantischem Hintergrund abhängig, weil die sozialen Faktoren oft einhergehen mit der Zuwanderungsgeschichte."
Der Schulpädagoge Matthias Forell von der Ruhr-Uni Bochum forscht seit Jahren zu den Gründen für die Ungleichheit im deutschen Bildungssystem. Er sagt: "Allein die Tatsache, dass Kinder zugewandert sind, ist selten der Hauptgrund für schlechtere Leistungen in der Schule."
Entscheidend sind die Eltern
Der Effekt der Zuwanderung werde häufig überlagert vom niedrigen sozioökonomischen Status oder dem geringen schulischen oder beruflichen Bildungshintergrund der Eltern.
Entscheidend sei auch, welche Sprache zuhause gesprochen wird. Also ob Deutsch die Familiensprache ist oder die Kinder zwei- oder mehrsprachig aufwachsen. Hinzu kommt:
Unser Schulsystem funktioniert nur gut, wenn die Eltern unterstützen und helfen. Wenn die Zusammenarbeit mit Eltern gut funktioniert. Da hat es in den letzten 20 Jahren einen großen gesellschaftlichen Wandel gegeben, der sich nicht gerade positiv ausgewirkt hat.
Prof. Matthias Forell
Die neue Bundesbildungsministerin Karin Prien konkretisiert: "Eltern erziehen ihre Kinder weniger. Eltern bereiten ihre Kinder weniger vor auf Schule. Kinder tun sich schwerer, sich in Gruppen zu integrieren. Kinder tun sich schwerer auch mit Motorik. Kinder lernen zu Hause oft nicht mehr sportliche Grundlagen. Auf einem Bein stehen, hüpfen, Fußball spielen, solche Dinge. Es wird den Kindern von den Eltern deutlich weniger vorgelesen als früher. Das sind alles Punkte, die kommen in der Schule an - und die muss Schule lösen."
Ein weiteres Problem ist, dass den Schulen das Personal fehlt, sagt Forscher Forell. Und: "Es fällt mehr Unterricht aus, muss mehr Unterricht vertreten werden. Materielle und räumliche Ressourcen, die ihnen weniger zur Verfügung stehen."

Schulpädoge Dr. Matthias Forell
Wie aber kann die Chancen- und Bildungsgleichheit gelingen? Mit mehr Ressourcen und Personal für die Schulen, sagt der Schulpädagoge. Auch eine Frühförderung im Vorschulbereich, eine gezielte Sprachförderung von Schülergruppen mit überwiegend nicht-deutscher Familiensprache sowie Programme zum nachträglichen Erwerb eines Schulabschlusses sollten intensiviert werden.
Schüler brauchen Vorbilder
"Und es braucht Vorbilder. Dass Schülerinnen und Schüler sehen, dass die herausfordernde Lage zu bewältigen ist. Und dass sie die Ersten sein können in ihrer Familie, die studieren oder eine Ausbildung machen", sagt Forell.
Bildung dürfe keine Frage der Herkunft sein. Da sind sich auch die Schüler am Landfermann-Gymnasium einig. "Ich finde, dass man nicht nur auf den Nachnamen gucken sollte und aufs Aussehen, sondern mehr aufs Innere. Denn am Ende sind wir alle Menschen", sagt Bana.
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