Schüler sitzen vor Tablets in einem Klassenzimmer.

Niedersachsen TikTok statt Tafel: Eine Schule in Dissen macht es vor

Stand: 25.05.2025 09:21 Uhr

Zwischen Handyverbot und digitaler Verantwortung: Die Hermann-Freye-Gesamtschule in Dissen zeigt, wie Handys im Unterricht mehr sein können als nur Störfaktoren auf dem Schulhof.

Von David Wigger

"Wir wollen unser Unterrichtsthema - die Industrialisierung - in einem TikTok-Format rüberbringen, weil das auch für unsere Generation spannend ist", sagt Anna-Sophie aus der 12. Klasse. Die Schülerin und ihr Geschichtskurs sind froh, "dass die Schule ein bisschen aufwacht und man nicht nur stumpf von der Tafel abschreibt, sondern den Unterricht mit Social Media verbindet." Im Kontext eines digitalen Bildungsprojektes drehen Schülergruppen der Hermann-Freye-Gesamtschule in Dissen am Teutoburger Wald momentan auf dem Pausenhof Videoclips - ganz im Stil von TikTok und Instagram. Was bei vielen Eltern und Pädagogen Alarmglocken läuten lässt, ist in Dissen Teil eines digitalen Geschichtsunterrichts in der Oberstufe.

Von Social-Media-Konsumenten zu aktiven Gestaltern

Im Rahmen des Projektes DigitalSchoolStory sollen die Schülerinnen und Schüler mit Hilfe von Lehrkräften und Influencern Unterrichtsthemen in Kurzvideos ausarbeiten. Dabei orientieren sie sich an Plattformen wie TikTok und Instagram. So auch im Leistungskurs Geschichte der 12. Klasse, der sich mit der Industrialisierung beschäftigt. Statt ausschließlich historische Quellen aus Schulbüchern zu analysieren, trauen sich einige Kleingruppen an eine kreativere Gestaltung heran und erstellen schauspielerisch und mit Requisiten ausgestattet Erklärvideos in einer Länge von 60 bis 90 Sekunden.

Die Schülerinnen Anna-Sophie (l.) und Lana (r.) schauen auf Tablets in ihrer Schule.

Die Schülerinnen Anna-Sophie (l.) und Lana (r.) wollen Themen aus dem Geschichtsunterricht für Jugendliche ihrer Generation spannend aufarbeiten.

Handyverbot? Oder Lernwerkzeug?

Smartphones polarisieren im Schulalltag - kaum ein anderes Thema wird so kontrovers in der Bildungspolitik diskutiert. Wie aktuell das Thema ist, sah man am vergangenen Donnerstag bei der Debatte zum Thema Handyverbot an Schulen im Niedersächsischen Landtag. Ab Juni gilt in Bremen ein Handynutzungsverbot an einigen Schulen. Und auch Schleswig-Holstein möchte zum kommenden Schuljahr schärfere Regeln für die Handynutzung einführen. Während im niedersächsischen Landtag über Regeln diskutiert wird, integriert die Hermann-Freye-Gesamtschule in einigen Klassen ein digitales Schulprojekt und geht so einen alternativen Weg der digitalen Bildung.

Hannover: Landtag debattiert über Handynutzung an Schulen

DigitalSchoolStory - eine Anleitung zum Experimentieren

Das Bildungsprojekt unterstützt bundesweit Schulen in der kreativen Umsetzung von Unterrichtsvideos. Mit einer Schritt-für-Schritt-Anleitung entwickeln die Klassen in Kleingruppen zunächst ein sogenanntes Storyboard mit ersten Ideen. Dieser Leitfaden soll die Schülerinnen und Schülern bei der Erstellung von Videos unterstützen. Im engen Austausch mit der Lehrkraft und einem Content Creator - oftmals bekannte Influencer aus den Sozialen Medien - bekommen die Lernenden ein Feedback und können so ihre Videoprojekte verfeinern. Gefördert wird das Projekt DigitalSchoolStory an der Gesamtschule in Dissen von der Initiative Zukunft Mitgemacht. Für rund 20.000 Euro werden so das Projekt und ein Maker Space, ein kreativer und offener Lernraum, an der Schule eingerichtet.

Soziale Medien kreativ im Unterricht nutzen

Geschichtslehrer Matthias Grewe nimmt mit seinem Leistungskurs an dem Projekt teil. Für seine Klasse sieht der Oberstufenkoordinator ein großes Potenzial. Der Pädagoge betont, dass die kreative Art des Unterrichts und die Nutzung von Sozialen Medien die Schülerinnen und Schüler zum Mitmachen motiviert und das Interesse am Unterrichtsthema steigert. "Die Schule muss auch an der Lebensrealität der Jugendlichen anknüpfen. Social Media ist Alltag und Realität für viele Schülerinnen und Schüler."

Der Lehrer Matthias Grewe.

Matthias Grewe, Lehrer und Oberstufenkoordinator, nimmt mit seinem Leistungskurs Geschichte an dem Projekt DigitalSchoolStory teil.

"Die Zeiten von Frontalunterricht sind vorbei"

In den Augen von Matthias Grewe ist daher auch die Schule dafür zuständig, Schülerinteressen, wie dem Umgang mit Smartphones, im Unterricht aufzugreifen und zu fördern. "Die Zeiten von reinem Frontalunterricht sind vorbei!", sagt Matthias Grewe. Die Möglichkeit selbst Videos zu erstellen, fördert nicht nur nachhaltig die Auseinandersetzung der Schülerinnen und Schüler mit dem Unterrichtsthema, sondern verbessert auch ihre Medienkompetenz, so der Geschichtslehrer. Dies ist auch mit Blick auf ihr späteres Berufsleben wichtig, da auch dort ein bewusster Umgang mit Medien von Vorteil ist.

Kreativität und Spaß beim Lernen in der Schule

Die Orientierung an TikTok, Instagram und Co. dient als Hilfestellung und soll den Schülerinnen und Schülern Möglichkeiten der kreativen Gestaltung näherbringen. Außerhalb der Schule muss keines der Videos veröffentlicht werden. Im Vordergrund stehen der gemeinsame Projektunterricht und ein nachhaltiger Lerngewinn. Das gefällt auch Schülerin Lana, denn obwohl in jedem Erklärvideo viel Zeit, Mühe und kreative Energie steckt, lohnt sich der Einsatz für sie doppelt: Nicht nur macht ihr die Arbeit im Team Spaß, sie hilft auch anderen Schülerinnen und Schülern der Hermann-Freye-Gesamtschule dabei, komplexe Geschichtsthemen besser zu verstehen.

Dieses Thema im Programm:
NDR 1 Niedersachsen | Regional Oldenburg | 21.05.2025 | 15:00 Uhr