
Niedersachsen Im Kriegsfall: So würde der Aufmarsch in Niedersachsen laufen
Deutschland bereitet sich gerade auf eine wachsende Bedrohung durch Russland vor. Die Pläne betreffen auch Niedersachsen. Wie genau, erklärt Oberst Dirk Waldau, Kommandeur des Landeskommandos, im NDR Interview.
Was macht Putin? Sollte Russland Nato-Staaten angreifen, würde auf Niedersachsen eine zentrale Rolle bei der Verteidigung zukommen - so steht es im Operationsplan Deutschland, mit dem sich Deutschland auf Krisen und Kriege vorbereitet. Niedersachsen wäre demnach eine Drehscheibe für Material und Soldaten, um den Nachschub für die Nato-Ostflanke zu sichern. Die Auswirkungen auf den Alltag der Menschen wäre enorm. Im NDR Interview erläutert Oberst Dirk Waldau, Kommandeur des Landeskommandos, was auf Niedersachsen zukommen würde.
Herr Waldau, angenommen, es kommt zum Bündnis- und Verteidigungsfall an der Nato-Ostflanke - was würde das für Niedersachsen bedeuten?

Oberst Dirk Waldau erläutert, was auf Niedersachsen im Kriegsfall zukommen würde.
Oberst Dirk Waldau: In so einem Fall würde die Nato Verteidigungspläne aktivieren. Und diese Pläne würden Auswirkungen auf Niedersachsen haben. Ein solches Szenario an der Ostflanke - zum Beispiel ein Aufmarsch von Truppen oder weitergehende Aggressionen - erfordert ja eine Abschreckung seitens der NATO. Und eine Abschreckung ist immer dann gut zu erreichen, wenn unsere Kräfte tatsächlich sichtbar aufmarschieren. In Niedersachsen würde das über Verkehrswege laufen, die Richtung Osten führen. Wenn Sie auf die Niedersachsen-Karte schauen, sehen Sie, dass etliche Wege in diese Richtung führen - Autobahnen und Eisenbahnlinien zum Beispiel, und auch über die Häfen kann Material entladen werden. Von daher wäre Niedersachsen in einem solchen Szenario von erheblichen Truppenbewegungen betroffen.
Wie realistisch ist so ein Szenario für Niedersachsen?
Waldau: Die Bedrohungslage ist ja gerade so, dass wir im Osten einen Staatenlenker haben, der offensichtlich nicht bereit ist, rechtstaatliche Grundsätze und Grenzen zu akzeptieren. Wenn er (Putin, Red.) das möglicherweise weiterspinnt, über die Ukraine hinaus, dann würde das innerhalb der Nato zu verstärkten Abschreckungsmaßnahmen führen - mit der Folge, dass es zu Aufmarschszenarien kommt. Und damit wäre Niedersachsen zwangsläufig drin.
Was heißt das konkret? Wie muss man sich einen Aufmarsch vorstellen?
Waldau: Wenn wir über die Verlegung von Nato-Truppenteilen sprechen, geht es immer um dieselben Thematiken: Schweres Gerät kommt zum Beispiel per Schiff nach Deutschland, Radfahrzeuge rollen auf eigenen Rädern, Panzer werden mit der Bahn transportiert. Und die Soldaten kommen zum Teil auch mit dem Flugzeug, weil wir ja transatlantische Partner haben. Es wird in Deutschland Räume geben müssen, wo Personal und Material zusammengeführt werden. Außerdem kann es sein, dass im Zuge eines solchen Abschreckungsszenarios nicht gleich alles Richtung Osten verlegt wird - sondern dass diese Kräfte erst noch in Deutschland ausgebildet werden müssen. Das heißt, wir brauchen auch Räume, in denen im großen Stil Ausbildung erfolgen kann. Das geht so weit, dass die Waffen nach dem Transport noch mal überprüft werden, ob sie einwandfrei funktionieren. Das passiert üblicherweise auf den großen Truppenübungsplätzen.
Kann so ein Krisenfall nächstes Jahr passieren? Reden wir über fünf Jahre? Über zehn?
Waldau: Wenn Russland in diesem Maße weiterrüstet wie aktuell, dann wäre ab Ende des Jahrzehnts ein strukturelles Bedrohungspotenzial gegeben. Es geht aber nicht nur um die Kräfte, die Putin dann hätte. Es geht auch um die Frage, ob er eine Gelegenheit hat. Also: Ist das, was er sich als Ziel setzt, tatsächlich erreichbar? Es sind drei Dinge zu berücksichtigen: die Fähigkeiten Putins, seine Motivation und unsere Wehrhaftigkeit.
Wenn wir auf den Kalten Krieg zurückschauen - was ist der Unterschied zwischen damals und heute?
Waldau: Wir hatten damals zwei Blöcke: die Nato auf der einen Seite, der Warschauer Pakt auf der anderen Seite. Die standen sich an der innerdeutschen Grenze gegenüber. Der Unterschied zu heute ist, dass wir damals ein Gleichgewicht hatten: Wir waren konventionell ähnlich stark, wir waren atomar ähnlich stark - wir waren ähnlich stark zu Wasser, zu Land und in der Luft. Damals sah das alles sehr gefährlich aus, wir hatten in nahezu jeder Kleinstadt eine Kaserne. Aber es war ein Gleichgewicht. Aus so einem Gleichgewicht resultiert nach meiner Bewertung selten eine echte Gefahr. Heute haben wir dieses Gleichgewicht nicht mehr, und zusätzlich haben wir noch andere Faktoren. Soziale Medien, mit denen die Bevölkerung beeinflusst werden kann, gab es damals nicht. Die Möglichkeiten, über Cyberangriffe das öffentliche Leben zu stören, gab es damals ebenfalls nicht. Das heißt, die Bedrohungslage ist komplexer geworden, sie ist hybrid geworden und sie ist zum Teil asymmetrisch. Nach meiner Einschätzung ist das Gefühl heute unsicherer, als wir es bis 1989 hatten.
Stichwort Landesverteidigung. Werden wir künftig wieder häufiger Manöver erleben, bei denen wir die Bundeswehr in den Dörfern Niedersachsens sehen werden?
Waldau: Davon bin ich fest überzeugt. Wir haben bereits im vergangenen Jahr mit den ersten Übungen begonnen, uns in unserem eigenen Land zu bewegen. Annäherungsweise so, wie wir das von früher kannten, als wir die großen Herbstmanöver hatten. So etwas sehen wir jetzt auch wieder - aber im Bereich der Verlegung. Es geht da weniger um Gefechtshandlungen, weil Niedersachsen heute ja keine Kampfzone wäre.
Wie schafft man den Spagat, einerseits gut vorbereitet zu sein, aber gleichzeitig keine Ängste zu schüren?
Waldau: Dass das Militär üben muss, liegt auf der Hand. Und das Militär übt das, was sich aus der aktuellen Bedrohungslage ergibt. Das heißt für Deutschland, dass wir uns auf einen Abschreckungsaufmarsch Richtung Osten vorbereiten. Wir erwarten von der zivilen Seite, dass sie Verständnis aufbringt für die Belastungen, die mit solchen Übungen und Verlegungen verbunden sind. Da kann mal eine Autobahn-Raststätte gesperrt werden, da kann es auf einem Truppenübungsplatz mal lauter werden, da kann es sein, dass das Militär den Betrieb an einem Hafen prägt. Es ist unsere große Bitte, dass die Bevölkerung ein Verständnis entwickelt. Wir machen es ja zu ihrem Schutz.
Kann so ein Aufmarschszenario auch in Friedenszeiten - ohne Spannungsfall - stattfinden, um abzuschrecken?
Waldau: Eindeutig ja. Der Abschreckungsaufmarsch wird in Friedenszeiten erfolgen - muss er ja, weil wir ja versuchen wollen, jegliche aggressive Handlung, jede Verletzung der territorialen Integrität zu verhindern. Wir werden uns im Frieden aufstellen in Richtung Osten.
Reden wir über dann noch über Manöver oder über den Ernstfall?
Waldau: Sowohl als auch. Wir üben ja jetzt schon. Aber sollte sich dieser Übungsaufmarsch nicht als tauglich erweisen, würde ja auch ein echtes Abschreckungsszenario greifen. Dann würden Kräfte verlegt werden - auch in Friedenszeiten.
Das Interview führte Torben Hildebrandt, NDR.de
Dieses Thema im Programm:
NDR 1 Niedersachsen | Aktuell | 30.05.2025 | 07:00 Uhr