
Mecklenburg-Vorpommern "Letzte Verteidigungswelle": Braucht das Jugendstrafrecht eine Verschärfung?
Im Zuge der Ermittlungen gegen eine mutmaßlich rechtsextreme Terrorgruppe sind alle Festgenommenen inhaftiert. Politikwissenschaftlerin Gudrun Heinrich von der Uni Rostock hält trotz steigender Anzahl von radikalisierten Jugendlichen nichts von einer Verschärfung des Strafrechts.
Nach bundesweiten Razzien gegen die mutmaßlich rechtsextreme Terrorzelle "Letzte Verteidigungswelle" sind alle fünf der jungen Festgenommenen in Untersuchungshaft. Ein Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof setzte am Donnerstagvormittag auch die Haftbefehle gegen einen 16- und einen 18-jährigen Beschuldigten aus Mecklenburg-Vorpommern in Kraft. Die Bundesanwaltschaft wirft den beiden Jugendlichen aus Neubukow (Landkreis Rostock) und Wismar vor, zu den Rädelsführern der "Letzten Verteidigungswelle" zu gehören. Mehrere der jungen mutmaßlichen Rechtsterroristen waren bereits vor der Razzia ins Visier von Ermittlern geraten.
Ermittlungen gegen insgesamt acht Personen
Die Gruppe versteht sich laut Bundesanwaltschaft als "letzte Instanz zur Verteidigung der Deutschen Nation". Ihr Ziel sei es gewesen, mit Anschlägen auf Asylunterkünfte und linke Einrichtungen das demokratische System der Bundesrepublik zu destabilisieren. Die Ermittlungen richten sich insgesamt gegen acht Personen - fünf von ihnen wurden am Mittwoch festgenommen, drei weitere saßen schon zuvor in Untersuchungshaft.
Festnahmen in mehreren Bundesländern
Die fünf Beschuldigten wurden in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Hessen festgenommen. Insgesamt wurden in sechs Bundesländern - darunter auch Sachsen und Thüringen - 13 Objekte durchsucht. Mehr als 220 Einsatzkräfte waren an der koordinierten Aktion beteiligt.
Mehrere Anschläge der Gruppe zugeordnet
Nach bisherigen Erkenntnissen rechnet die Bundesanwaltschaft der Gruppierung drei Anschläge oder Anschlagsversuche zu - darunter ein Brandanschlag auf ein Kulturhaus in Brandenburg, ein versuchter Angriff auf ein Asylbewerberheim in Thüringen sowie Anschlagspläne gegen eine weitere Unterkunft für Flüchtlinge in Brandenburg. Beteiligt gewesen sein sollen sowohl die kürzlich festgenommenen Jugendlichen als auch drei weitere bereits inhaftierte Beschuldigte.
Radikalisierung bei Jugendlichen nimmt zu
Dr. Gudrun Heinrich, Politikwissenschaftlerin an Uni Rostock, ist zwar erschrocken, aber nicht überrascht über die Radikalisierung der Jugendlichen: "Wir sehen schon längere Zeit, dass Jugendliche sich sehr schnell radikalisieren und bereit sind, von einer vagen politischen Position zu einer sehr radikalen Position umzuswitchen und dann eben auch eine Gewaltbereitschaft zeigen." Die Anzahl der Jugendlichen, die sich radikalisieren, nehme zu.
Heinrich: Keine Verschärfung des Jugendstrafrechts
Von einer Verschärfung des Jugendstrafgesetzes hält die Politikwissenschaftlerin jedoch nichts. Studien hätten gezeigt, dass eine Verschärfung nicht präventiv wirke. "Das Jugendstrafrecht sieht ja auch den Erziehungsgedanken im Mittelpunkt und nicht den Strafgedanken", erläuterte Heinrich. Stattdessen müsste die Gesellschaft ihrer Meinung nach die Jugendlichen als Personen ernst nehmen und ihnen Anerkennung zeigen: "Es ist eine Generation, die durch Corona mit beeinflusst worden ist, die das Gefühl hat, nicht gehört und nicht wahrgenommen zu werden."
Heinrich sieht neben den Eltern vor allem die Jugendsozialarbeit in der Pflicht, in die mehr investiert werden müsse. Für die verhafteten Jugendlichen der "Letzten Verteidigungswelle" brauche es laut Heinrich "intensive Programme, um ihnen die Chance zu geben, vielleicht nochmal über Dinge nachzudenken."
Innenminister besorgt über Radikalisierung Jugendlicher
Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Christian Pegel (SPD) äußerte sich alarmiert über die zunehmende Radikalisierung junger Menschen. Es entstehe eine neue Szene sehr junger Rechtsextremer, so Pegel - digital vernetzt, ideologisch gefestigt und gewaltbereit. Auch in Mecklenburg-Vorpommern hatte es am Mittwoch zusätzlich zu den Festnahmen Durchsuchungen im Zusammenhang mit einer rechtsextremen Chatgruppe gegeben.
SPD und Linke: Sondersitzung des Innenausschusses
Die Landespolitik reagiert deutlich: SPD und Linke im Schweriner Landtag haben für kommenden Dienstag eine Sondersitzung des Innenausschusses beantragt. SPD-Fraktionschef Julian Barlen wirft der AfD vor, mit ihrer Rhetorik gegen Minderheiten den Nährboden für solche Gewaltakte zu bereiten. Die AfD wies dies als Unterstellung zurück. Grünen-Fraktionschefin Constanze Oehlrich sprach angesichts der Razzien von einem "erschütternden Beleg für die Radikalisierung junger Menschen in der rechtsextremen Szene". Der Linken-Abgeordnete Michael Noetzel warnte vor einem "Comeback der Baseballschlägerjahre", eine Anspielung auf rechtsextreme Gewalt in den 1990er-Jahren.
Flüchtlingsrat erschüttert
Der Flüchtlingsrat Mecklenburg-Vorpommern teilte mit, er sei über das Ausmaß der Radikalisierung vor allem gegen Schutzsuchende und zivilgesellschaftliche Einrichtungen erschüttert. Als "besonders erschütternd" bezeichnete der Flüchtlingsrat die in Chatverläufen von mehreren Mitgliedern der Gruppe mutmaßlich geäußerten Mordfantasien gegenüber Menschen mit Migrationsgeschichte. Die Zerschlagung der Gruppe sei demnach "ein notwendiger, aber längst überfälliger Schritt", hieß es.
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NDR 1 Radio MV | Nachrichten aus Mecklenburg-Vorpommern | 22.05.2025 | 12:00 Uhr