
Mecklenburg-Vorpommern Nord Stream 1 und 2 - Totgesagte leben länger
Drei der vier Stränge der Nord Stream-Pipelines wurden im Herbst 2022 durch Explosionen beschädigt. Viele Politiker würden das Projekt auf dem Ostseegrund gerne beerdigen. Doch die Gasleitungen könnten eine wichtige Rolle bei Verhandlungen zwischen Russland, den USA und der Ukraine spielen.
Deutscher Bundestag diese Woche: im Plenarsaal läuft eine emotionale Debatte zur Zukunft der Nord Stream-Pipelines. Die Fraktion der Grünen hat einen Antrag eingebracht, der im Kern aussagt, dass es kein Zurück zu russischen Gaslieferungen über die Ostseepipelines geben soll. Die Bundesregierung hält sich mit klaren Aussagen zu dem Thema bisher auffällig zurück - genau wie die größere der beiden Regierungsfraktionen. Über Nord Stream werde man zusammen mit den europäischen Nachbarn entscheiden, heißt es immer wieder in der Debatte von Abgeordneten von CDU und CSU. Womöglich sollen in einem neuen Sanktionspaket der EU gegen Russland auch die Ostseepipelines sanktioniert werden. Doch sicher ist das nicht.
Nord Stream: Faustpfand für die Autokraten
Nina Scheer, energiepolitische Sprecherin der SPD, wird da klarer und bezieht sich auf den Krieg in der Ukraine: "Wenn wir den Friedensprozess mit den Autokraten der Welt weiter führen wollen, dann wird uns nichts anderes übrig bleiben, als auch bestimmte Angebote, von den Seiten, die an dem Friedensprozess beteiligt sind, anzuschauen."
Mit Autokraten meint die Sozialdemokratin offenbar Trump und Putin. Und Nord Stream ist damit Verhandlungsmasse bei möglichen Friedensverhandlungen zwischen den USA und Russland. Der Antrag der Grünen wird in die Ausschüsse verwiesen, eine klare Entscheidung durch den Bundestag vertagt.
Pipeline mit russischem Gas unter US-Aufsicht
Seit Monaten wird darüber spekuliert, dass ein amerikanischer Investor die Nord Stream-Ruine in der Ostsee übernehmen will. Stephen P. Lynch soll nach verschiedenen Medienberichten sogar erst vor kurzem im Wirtschaftsministerium in Berlin seine Pläne vorgestellt haben. Über die Ergebnisse der Gespräche ist allerdings nichts bekannt geworden.
Aber das Geschäftsmodell sähe wohl so aus: Die USA würden die Pipeline offiziell betreiben und als Zwischenhändler auftreten. Die Russen würden das Gas liefern und damit wieder Geld verdienen. Die USA würden aber die Kontrolle über den europäisch-russischen Gashandel behalten. Das könnte sowohl für Moskau als auch für Washington ein interessantes Geschäftsmodell sein.
Geheimnisvoller Investor mit exzellenten Beziehungen zu Russland
Aber wer ist dieser Stephen P. Lynch? Für die einen ist er ein genialer Dealmaker, der lieber im Hintergrund bleibt, für die anderen ein russischer Strohmann. Er soll jahrzehntelang in Moskau gelebt haben, jetzt aber ist Miami Sitz seines Unternehmens "Monte Vally". Der Internetauftritt der Firma bringt wenig Aufklärung. Im Jahr 2007 hatte Lynch an der Auktion von Vermögensteilen des zerschlagenen russischen Energiekonzerns Yukos teilgenommen und dabei mit russischen Partnern zusammengearbeitet. Kritiker sprachen damals von einer von der russischen Regierung manipulierten Aktion.
Die Zukunft von Nord Stream ist eine politische Frage, keine juristische
Auch bei Bankgeschäften in Russland soll Lynch mitgewirkt haben. Im vergangenen Wahlkampf unterstützte er Donald Trump mit Spenden und dürfte deshalb exzellente Beziehungen zur US- und zur russischen Führung unterhalten. Seine Bemühungen haben offensichtlich sogar das Konkursverfahren gegen die Nord Stream 2 AG in der Schweiz beeinflusst. Immer wieder hatte das zuständige Kantonsgericht den Beginn des Konkurses verschoben, zuletzt Anfang Mai. Auch dieser Vorgang dürfte zeigen: die Zukunft der Nord Stream-Pipelines liegt in den Händen der Weltpolitik, ist weniger eine juristische oder wirtschaftliche Frage.
Mecklenburg-Vorpommern im Fokus der Weltpolitik
Natürlich liegt die Zukunft der Pipelines auch in den Händen Deutschlands. Denn das Genehmigungsverfahren für das Projekt wurde kurz vor Ausbruch des Kriegs in der Ukraine gestoppt. Einfach so könnte also niemand von heute auf morgen wieder Gas liefern.
Im vorpommerschen Lubmin bei Greifswald landen die vier Stränge der Gaspipelines an. Von hier aus sollten Milliarden Kubikmeter Gas über Land Richtung Westen weitergeleitet werden. Und die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern, allen voran Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD), hatte sich viele Jahre lang für den Bau der Pipelines eingesetzt. Sie setzte so sehr auf die Wirtschaftsbeziehungen zu Moskau, dass ein russischer Vizeminister einst sagte, Mecklenburg-Vorpommern sei eine Art von Vorposten Russlands in der EU. Der Krieg Putins gegen die Ukraine änderte alles. Und die Sprengstoffanschläge gegen die Pipelines im Herbst 2022 schienen das Projekt Nord Stream endgültig zu beerdigen.
Das Gas könnte nach einem Frieden wieder fließen
Doch in der deutschen Innenpolitik erlebten die Pipelines in diesem Jahr eine neue Popularitätswelle - nicht nur durch AfD und BSW, die die Wiederaufnahme des Gashandels mit Russland nach einer Reparatur der Röhren fordern. Die Kosten für Letzteres dürften etwa bei einer Milliarde Euro liegen. Auch der CDU-Bundestagsabgeordnete Thomas Bareiß ließ aufhorchen, als er im März in einem sozialen Netzwerk schrieb, dass "natürlich wieder Gas fließen könne, wenn Frieden herrsche und die Beziehungen sich wieder normalisierten". Womöglich stünde die Pipeline dann unter amerikanischer Kontrolle, fügte er noch hinzu. Bareiß erntete massive Kritik dafür. Auch Manuela Schwesig, einst die wohl entschiedenste Unterstützerin von Nord Stream 2, wies die Idee zurück.
Macht Deutschland den gleichen Fehler nochmal?
Es sei richtig gewesen, dass die Bundesregierung das Genehmigungsverfahren für die Pipelines nach Kriegsbeginn gestoppt habe, sagte Schwesig Ende März. "Und es bleibt auch richtig, denn jeden Tag ist Krieg in der Ukraine durch Russland, und deswegen halte ich von diesen Gedankenspielen gar nichts." Aber vielleicht lag Bareiß ja gar nicht falsch, sondern formulierte nur zu früh und zu deutlich, was auch viele andere Politiker der Regierungsparteien denken. Nicht nur wegen einer möglichen Friedenschance für die Ukraine. Sondern auch wegen der Möglichkeit, wieder an "billiges" russisches Gas zu kommen und so die schwierige Situation der deutschen Industrie zu verbessern.
Bleibt allerdings die Frage, ob man sich erneut abhängig machen will von Putins Reich. Wer weiß, ob der nicht das Geld für die Rohstoffexporte weiter in die Armee stecken würde, um seine imperialen Träume zu verwirklichen. Schließlich habe Deutschland, laut des Sicherheits- und Energieexperten Frank Umbach, "mit seinem Blutgeld", dass es für die Gasimporte ausgegeben hat, den Krieg in der Ukraine erst möglich gemacht.
Dieses Thema im Programm:
NDR Fernsehen | Doku & Reportage | 25.05.2025 | 23:30 Uhr