Grafische Darstellung: So könnte die Elektrolyseanlage für Grünen Wasserstoff des Unternehmens H2Apex in Lubmin aussehen.

Mecklenburg-Vorpommern Lubmin: Von russischem Nord-Stream-Gas zu Wasserstoff

Stand: 30.05.2025 06:06 Uhr

Im deutschen Wasserstoffkernnetz nimmt Lubmin eine zentrale Rolle ein. Von hier gehen Pipelines in den Süden und hier landet grüner Offshore-Strom an. Vier Unternehmen planen fünf große Elektrolyseanlagen. Investoren klagen über zu enge rechtliche Vorgaben und zu viele Vorschriften.

Von Martina Rathke

Am Mittwoch hat Bundeskanzler Friedrich Merz klar gemacht, welche Zukunft er für die Nord-Stream-Leitungen sieht: Keine. Seine Regierung werde "alles tun, damit Nord Stream 2 eben nicht wieder in Betrieb genommen werden kann", sagte Merz beim Besuch des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in Berlin. Die Europäische Union (EU) arbeitet gerade an einem neuen Sanktionspaket gegen Russland. Denkbar ist, dass russische Gastransporte über die Leitungen, die im vorpommerschen Lubmin anlanden, in das Paket eingehen.

Gaspipeline wird für Wasserstofftransport umgerüstet

In Lubmin, wo hochgesichert mit Kameras und Stacheldrahtzaun noch immer die großen Gasempfangsstationen für das Nord-Stream-Gas stehen, beginnt bereits eine neue Energie-Phase, die unabhängig von russischen Gaslieferungen ist. Bagger legen die Anschlüsse der Opal-Leitung frei. Diese Gaspipeline, einst für den Transport von russischem Gas in den Süden Deutschlands gebaut, wird umgerüstet für Wasserstoff. Der Fernleitungsnetzbetreiber Gascade hat in den vergangenen Monaten in Lubmin eine 1,3 Kilometer lange Anschlussleitung zur Opal verlegt und eine Einspeise-Station (Header-Station) errichtet.

Anschlüsse für sechs Wasserstoff-Fabriken

"Die Header-Station ermöglicht die Einspeisung von Wasserstoff von bis zu sechs verschiedenen Akteuren, die hier auf dem Gelände des ehemaligen Atomkraftwerkes Elektrolysestandorte bauen wollen", sagt Gascade-Mitarbeiter Dirk Flandrich. Er leitet das Programm "Flow - making hydrogen happen" (Wasserstofffluss verwirklichen). Rund 14 Millionen Euro investiert Gascade hier allein in den Aufbau der Station.

Nationale Wasserstoffstrategie: 10 Gigawatt bis 2030

Laut Nationaler Wasserstoffstrategie soll in Deutschland bis 2030 rund 10 Gigawatt Erzeugerkapazität für grünen Wasserstoff entstehen. Grüner Wasserstoff, gewonnen aus erneuerbarem Strom und Wasser, soll künftig in Teilen fossile Gase wie Erdgas ersetzen. Lubmin an der Ostsee spielt dabei eine zentrale Rolle im 9.000 Kilometer langen Wasserstoffkernnetz, das 2024 genehmigt wurde und zu den großen Industriezentren in Berlin, im Ruhrgebiet und Süden Deutschlands führt. Die 400 Kilometer lange Opal-Pipeline gehört zum Wasserstoffkernnetz. Bis Ende des Jahres soll sie komplett "wasserstoffready" sein, sagt Flandrich. Die ersten 14 Kilometer bei Berlin wurden bereits mit Wasserstoff befüllt.

"Regulatorik ist ein Wasserstoffverhinderungsprogramm"

Doch noch fehlt es an Produzenten für den grünen Wasserstoff. Hier in Lubmin planen vier Unternehmen (H2Apex, Deutsche Regas, PtX Development und Lhyfe) fünf Wasserstofffabriken. Sie haben sich Grundstücke gesichert, zögern jedoch mit der finalen Investitionsentscheidung. Es brauche stabile Abnehmerverträge, dazu kämen politische Unsicherheiten durch den Wechsel der Bundesregierung und zu enge rechtliche Vorgaben und zu viele Vorschriften, erläutert Peter Rößner, CEO von H2Apex. "Die aktuelle Regulatorik ist ein Wasserstoffverhinderungsprogramm." Beispielsweise dürften keine grünen Überschussströme aus dem Netz genommen werden, wenn zu viel Wind wehe.

Lubmin als Standort ideal

Erste Bauschilder stehen auf dem ehemaligen Atomkraftwerksgelände in Lubmin. Doch die Wasserstoff-Industrie, die sich im Aufbau befindet, ist fragil. Das Unternehmen HH2E - mit einem bereits genehmigten Projekt am Greifswalder Bodden - ging Ende vergangenen Jahres in Insolvenz. H2Apex aus Rostock-Laage übernahm und will jetzt zwei Elektrolyseanlagen (Wasserstoff-Fabriken) errichten mit einer Gesamtleistung von einem Gigawatt. "Diese ganze Infrastruktur, die wir hier vorfinden ist ideal, um grünen Wasserstoff zu produzieren. Wir haben den Strom, wir haben die Pipeline, die den Wasserstoff in den Süden führen, und wir haben eine Fläche, die zur Industriefläche entwickelt wurde", sagt Rößner.

Industrie will mit Wasserstoff Klimaziele erreichen

Die Chemie- und Stahlindustrie will mit dem Ersatz von Erdgas durch grünen Wasserstoff ihre Klimaziele erreichen. Doch der Weg dorthin ist holprig. Es gebe bislang keinen funktionierenden Markt für grünen Wasserstoff in Deutschland, heißt es aus der Branche. Abnehmer warten auf Produzenten, Produzenten auf Abnehmer. Ein Henne-Ei-Problem. Der grüne Strom mache zudem die Produktion von grünem Wasserstoff teuer.

Grüner Wasserstoff ist keine Allroundlösung

Die Allroundlösung für die Energie- und Klimaprobleme sei grüner Wasserstoff deshalb nicht, heißt es vom Umweltinstitut München. Schon heute gebe es einen großen Bedarf an Wasserstoff, der beispielsweise für die Chemieindustrie aus fossilen Energieträgern gewonnen werde, so der Energieexperte Hauke Doerk. Im Zuge der Dekarbonisierung beim Stahl kämen weitere Bedarfe dazu.

Auch als Speicher, um erneuerbaren Solarstrom über den Winter zu bringen, benötige man Wasserstoff, so der Physiker. "Das heißt, da ist Wasserstoff eh schon knapp. Und wenn wir jetzt auch noch Ideen verfolgen, Wasserstoff zu benutzen beim Heizen oder beim Autofahren dann ist das Augenwischerei. Wasserstoff wird viel zu teuer sein für die Mobilität, fürs Heizen."

Staatliche Hilfen für Anschub der Wasserstoff-Industrie

Ohne staatliche Hilfe geht beim Anschub dieser neuen Energiebranche nichts. Die Deutsche Regas erhält für die geplante Wasserstoffproduktion 112 Millionen Euro Förderung von der EU, H2Apex 167 Millionen Euro Investitionsförderung. "Im Moment ist das alles so 'first of its kind', das sind Projekte, die wurden so noch nicht gebaut. Also die Risiken, die wir tragen, müssen irgendwo abgesichert sein", sagt Rößner.

H2Apex will Anfang kommenden Jahres die finale Investitionsentscheidung treffen. Voraussetzung seien langfristige Abnehmerverträge. Mitte 2028 könnte dann die erste Ausbaustufe der Fabrik, deren Kosten auf 300 Millionen Euro geschätzt werden, in Betrieb gehen - zunächst mit einer Erzeugerkapazität von 100 Megawatt.

Dieses Thema im Programm:
NDR 1 Radio MV | Nachrichten aus Mecklenburg-Vorpommern | 30.05.2025 | 06:30 Uhr