
Mecklenburg-Vorpommern Der letzte Triebwagen seiner Art "Made in Wismar"
Wismarer Eisenbahnfreunde holen einen einzigartigen technischen Pionier zurück in die Hansestadt. Der Triebwagen SB-M1 wurde 1927 in der Waggonbau Wismar für die dänische Skagenbahn gebaut und war seiner Zeit technisch weit voraus.
An die Szenerie in der Gedser Remise kann sich Andreas Nielsen von den Eisenbahnfreunden Wismar noch gut erinnern. An die verwinkelten Räume und Gänge des alten Bahnbetriebswerkes, seine Aufenthaltsräume, Werkstätten, die Schmiede und natürlich an den riesigen Ringlokschuppen mit seinen 12 Gleisen. Hier wurden bis 1986 Loks für den Fähr- und Güterbahnhof Gedser abgestellt und gewartet. Die Luft roch nach Öl und Teer, Rauchschwalben jagten zwischen den dunklen Stützbalken hin und her. Durch Löcher im Dach und vergilbte Glasfenster drang schummriges Licht. Auf dem letzten Gleis von mehreren Dampfloks und einem norwegischen Schienenbus verdeckt, stand ein unscheinbarer roter Bahnwagen. Die beiden Typenschilder ließen keinen Zweifel. Es war Triebwagen SB-M1, 1927 in der Hansestadt gebaut, in Kooperation mit dem Motorenbauer Maybach. Ein fast vergessenes Stück Mecklenburger Technikgeschichte - und das gerade mal 80 Kilometer Luftlinie von Wismar entfernt. Damals, vor fast zwei Jahrzehnten, beschloss Andreas Nielsen, den SB-M1 eines Tages zurückzuholen.
Wismarer Exportschlager
Aber der Wagen sah und sieht auch heute noch traurig aus. Ein Loch im Dach, aufgeplatzte Polster und abblätternde Farbe, kaputte Scheiben. "Die Deutsche Reichsbahn hatte 16 oder 17 Stück davon. Vier sind nach Dänemark gegangen, in Ungarn ist einer gefahren, mehrere in Belgien und Schweden. Und von allen denen existiert nur noch der in Gedser", erklärt Andreas Nielsen. Er hätte ihn am liebsten sofort gekauft, aber die Dänen mochten sich nicht trennen. Schließlich war er über 40 Jahre auf der Skagenbahn gefahren und gilt als einer der Urväter moderner Schienenbusse. Die Innovationen damals: V6-Maybach-Dieselmotor statt Dampfantrieb, Motor und Getriebe sitzen direkt über einem Drehgestell und bilden eine Antriebseinheit.
Missglückte Überführung
"Eigentlich wollten wir den Wagen auf Lolland einsetzen", erzählt Arne Jørgensen von der Museumsbahn Maribo-Bandholm. Besonders im Sommer sollte der Wismarer Triebwagen fahren, wenn die deutschen Touristen auf die Insel strömen. Aber der Traum platzte schon bei der Überführung. Der Wagen wurde irrtümlich an einen Güterzug gehängt, ohne vorher den Gang rauszunehmen und die Höchstgeschwindigkeit von 70 Kilometer pro Stunde zu beachten. Das Ergebnis: Getriebe und Motor blockierten, die Antriebsstangen wurden regelrecht abgeschert. So landete der schwer lädierte Triebwagen kurz vor dem Mauerfall im Lokschuppen in Gedser, in der Hoffnung auf bessere Zeiten. Aber die wollten nicht kommen - im Gegenteil. Das Eisenbahnmuseum Gedser ist in den letzten Jahren so erfolgreich geworden, dass es den Platz für andere Loks und Wagen brauchte. Schließlich landete der SB-M1 im letzten Frühjahr auf einem Ausweichgleis auf freier Strecke zwischen Gedser und Nykøbing Falster.
Zum Schrottwert verkauft
Da wurden die Wismarer aktiv. Sie besorgten Planen und deckten den historischen Wagen notdürftig ab. Und auch die Verkaufsverhandlungen mit dem dänischen Eisenbahnclub gerieten in Bewegung. Beide Seiten einigten sich schließlich auf einen Kaufpreis von 4.000 Euro. Das entspricht dem Schrottwert. Im Februar dann der erste Akt der Rückholung. Gemeinsam mit den dänischen Hobby-Eisenbahnern der Gedser Remise wird der Wagen zurück zur Fährhafen geschleppt. Arne Jørgensen ist am Ende nicht traurig. "Hier in Gedser würde er nicht mehr aufgearbeitet werden. In Wismar kommt er in gute Hände. Die werden alles tun, dass er irgendwann wieder besser aussieht."
Zurück über die Ostsee
"Bis 1996, als es die Eisenbahnfähre Warnemünde-Gedser noch gab, hätten wir ihn einfach auf die Fähre geschoben. Das geht leider nicht mehr", bedauert Andreas Nielsen. Die Alternative ist ein spezieller Straßen-Tieflader für den Transport von Bahnfahrzeugen. Am Ende lief alles erstaunlich reibungslos. Der Spezialtransporter holte den 40 Tonnen schweren Wagen in Gedser ab, setzte mit der Scandlines-Fähre nach Rostock über und von dort ging es per Straße weiter nach Wismar, wo der Wagen im Seehafen wieder aufgegleist wurde. Kostenpunkt: 15.000 Euro.
Aufarbeitung geplant - allerdings ohne Motor und Getriebe
Das allerletzte Stück, von der Drehscheibe in den Lokschuppen, wurde der Triebwagen dann von den Wismarer Eisenbahnfreunden mit Muskelkraft bewegt. Damit ist die Rückkehr eines besonderen Zeugnisses Mecklenburger Industriegeschichte abgeschlossen und SB M1 fast genau dort, wo seine Reise vor 98 Jahren mal begonnen hatte. Das Gelände der ehemaligen Waggonfabrik liegt nur einen knappen Kilometer vom Lokschuppen der Eisenbahnfreunde Wismar entfernt. Dort steht er erstmal sicher und trocken. "Der Triebwagen soll in den nächsten Jahren optisch wieder aufgearbeitet werden. Auch Motor und Getriebe zu erneuern wäre wohl nicht bezahlbar", schaut Andreas Nielsen voraus. Aber wer weiß: Bis zum 100. Geburtstag des technischen Denkmals haben sie jedenfalls noch zwei Jahre Zeit.
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NDR 1 Radio MV | Nordmagazin | 17.05.2025 | 19:00 Uhr