
Hamburg Vor 175 Jahren: Erster Dampfer von Hamburg nach New York
Am 29. Mai 1850 legt in Hamburg der erste deutsche Überseedampfer ab, die "Helena Sloman". Auf der dritten Überfahrt nach New York sinkt er in einem Sturm. Doch das Ende der Segelschiff-Ära hat begonnen.
Am frühen Morgen des 29. Mai 1850 verlässt das Dampfschiff "Helena Sloman" den Hamburger Hafen. An Bord sind Auswanderer, Pakete und Briefe in die Neue Welt. Schon Monate im voraus haben die Hamburger Zeitungen die Abfahrt des Schiffes gemeldet, den Namen des Kapitäns angekündigt, Paul Nickels Paulsen, der von der Insel Föhr stammt, die Preise für die Überfahrt genannt: 150 Mark in der ersten Klasse, 100 in der zweiten und 80 im Zwischendeck, rund ein Drittel teurer als eine Segelschiff-Passage nach New York.
Das Jahrhundert der Dampfschiffe beginnt
Bereits 1816 ist erstmals ein kleiner Dampfer auf der Elbe gefahren, sogar bis nach Helgoland. Überall in Europa sind sie inzwischen in der Küstenschifffahrt im Einsatz. Auch zwischen Hamburg und dem britischen Hull verkehren regelmäßig Dampfschiffe der Sloman-Reederei. Bereits 1838 sind zwei Dampfer von den britischen Inseln aus zu einer Wettfahrt nach New York aufgebrochen. Und die Cunard-Linie fährt schon seit zehn Jahren mit Dampfern auf dieser Strecke.
Sloman und Hapag konkurrieren
In Deutschland aber hat sich noch niemand an eine Überquerung des Nordatlantiks gewagt, nicht einmal die erfolgreiche Reederei Sloman, die immer noch auf Segelschiffe setzt. Erst als Robert Miles Sloman mit der 1847 gegründeten Hamburg-Amerikanischen Packetfahrt-Actien-Gesellschaft (Hapag) eine gefährliche Konkurrenz erwächst, entschließt er sich, ein Dampfschiff zu bestellen, das die Fahrtzeit entscheidend verkürzen soll.

Die Konkurrenz mit der Hapag bringt Sloman dazu, ein Dampfschiff zu bestellen.
Nur britische Werften bieten neueste Technik
Als Kind ist Sloman mit seinem Vater aus Großbritannien nach Hamburg gekommen. Nun führt er die Reederei und Schiffsmaklerei in zweiter Generation. Die "Helena Sloman" lässt er auf der Werft von T & W. Pim in Hull bauen. Das rund 70 Meter lange Schiff wird im Februar 1850 auf den Namen seiner Ehefrau getauft.

Die "Helena Sloman" hat mittschiffs einen Schornstein.
Es verfügt über einen neuartigen Antrieb, den britische Schiffbauer erst wenige Jahre zuvor entwickelt haben, eine Heckschraube. Sie ersetzt das bis dahin übliche Schaufelrad, das zumeist an der Seite befestigt ist. Zwei starke Dampfmaschinen stellen die Energie bereit. Die "Helena Sloman" ist für 300 Passagiere und 40 Mann Besatzung ausgelegt und gilt als "erstklassiges Seeschiff", wie die "Illustrated London News" damals meldet. Doch so ganz scheint man der neuen Technik angesichts der weiten Strecke, die sie zurücklegen soll, noch nicht zu trauen. Denn der Dampfer erhält zusätzlich drei Masten mit Segeln, zur Unterstützung der Maschine und für den Fall eines Schadens.
Die Auswanderer stammen aus allen Schichten
An jenem Morgen Ende Mai 1850 sind 251 Passagiere an Bord, wie die Hamburger Auswandererprotokolle zeigen. Vor allem Handwerker, wie der Schneider aus Stettin oder der Tischler aus Sachsen. Auch der Instrumentenbauer Heinrich Steinweg aus Hannover fährt mit seiner Familie auf der "Helena Sloman" in die Neue Welt. Drei Jahre später gründet er mit seinen Söhnen in New York das Klavierbauunternehmen Steinway and Sons. Arbeiter, Bauern, Lehrer, Kaufleute und Gutsbesitzer sind ebenfalls unter den Passagieren. Sie reisen ihrer Familie häufig voraus, vermutlich um erst einmal Fuß zu fassen in der Fremde. Warum sonst finden sich auf den Listen neben den Männern so viele Frauen mit Kindern?
Komplikationen auf der ersten Fahrt
Um 12.30 Uhr mittags passiert die "Helena Sloman" bei mäßigen Nordwind Cuxhaven, den Hamburger Außenposten an der Elbmündung, wie der elektromagnetische Telegraph in die Hansestadt meldet. Dort geht auch Robert Miles Sloman von Bord, der das Schiff bei seinem ersten Einsatz begleitet hat. Was soll jetzt noch passieren?
Doch schon nach zwei Tagen auf der Nordsee zerbersten wichtige Teile der Dampfmaschine. Das Schiff erreicht mit Mühe den Hafen Deal in Kent südlich von London. Vermutlich ein Materialfehler oder schlechte Arbeit des Maschinenbauers. Jedenfalls hätten die Bruchflächen "eine Unzahl Luftblasen gezeigt, die meisten von Hanfkorn-, einige sogar von Bohnengröße", wie die "Allgemeine Auswanderungs-Zeitung" am 25. Juli meldet. Teile müssen repariert, eine eiserne Schraube für den Antrieb des Propellers muss sogar eigens in Hull gegossen werden.

Der Schraubendampfer "Helena Sloman" legt am 29. Mai 1850 in Hamburg ab.
Fast eine Woche dauert die Reparatur. Dann gehen noch 42 britische Passagiere an Bord, aber nicht im Zwischendeck wie die Auswanderer, sondern vor allem in der ersten Klasse. Und am 8. Juni um 13 Uhr setzt die "Helena Sloman" ihre Fahrt fort. Die See ist ruhig, das Wetter schön, wie der Kapitän später berichtet. Ein leichter Wind weht zumeist aus West oder Südwest.
Passagiere beschweren sich über das Essen
Obwohl das Schiff neu und die Reederei bemüht ist, ihre führende Stellung im Nordatlantikdienst zu behaupten, kommt es zu zahlreichen Beschwerden, wie in der "Auswanderungs-Zeitung" nachzulesen ist. Die Reisenden der zweiten Klasse wundern sich, dass sie dasselbe einfache Essen wie die Zwischendeckspassagiere erhalten, obwohl ihnen vertraglich "vorzüglich gute Beköstigung" zugesichert ist. Auch Kaffee und Tee gibt es anfangs nur aus dem allgemeinen Zwischendeckskessel. "Beiläufig gesagt 2 Flüssigkeiten, denen diese Bezeichnungen nur aus übertriebener Schmeichelei zuerkannt werden konnten." Das "schmackhafte Schwarzbrot" sei bald von Schiffszwieback abgelöst worden, dazu wird ranzige "Schmierbutter" mit Talgklumpen gereicht.
Das Mittagessen besteht zumeist nur aus gepökeltem Schweinefleisch mit Erbsen oder Hering mit Kartoffeln. Auch dass Alkoholika nicht mitgeführt werden dürfen, sondern gekauft werden müssen, empört die bürgerlichen Passagiere: "Was soll denn der Reisende thun, der nur an eine bestimmter Weinsorte gewöhnt ist", wird gefragt und bemängelt, dass das Bier bald sauer wird und die Brauselimonade nach zwei Tagen verbraucht ist. Kapitän Paulsen, ansonsten "ein freundlicher Mann", habe auf Beschwerden jedoch nur mit Achselzucken reagiert.

So oder so ähnlich wie in dieser Rekonstruktion könnte es im Zwischendeck ausgesehen haben.
Im Zwischendeck hingegen leiden die Auswanderer zwischen Gepäck, Brennholz, Wasserfässern, Vorräten und Fracht unter Enge und schlechter Luft. Sie sind dort den Rohheiten der Schiffsbesatzung besonders ausgesetzt. Immer wieder gibt es "Rippenstöße" und "grobe Worte", wie es in der "Auswanderungs-Zeitung" heißt. Dennoch wird die Überfahrt für die Reederei ein großer Erfolg. Schon nach 20 Tagen kommt die hohe Küste von Sandy Hook südwestlich von New York in Sicht - ein Rekord! Und die Rückfahrt in 18 Tagen ist eine Sensation! Segelschiffe benötigen für die gleiche Strecke rund 50 Tage, mehr als doppelt lang.
Seenot im Sturm
Im August 1850 überquert die "Helena Sloman" erneut den Atlantik. Ob die Missstände abgestellt worden sind, ist nicht in Erfahrung zu bringen. Dann gerät sie auf der dritten Reise am 19. November vor Neufundland in einen Orkan, der aus nordwestlicher Richtung heranweht. Lange hält Kapitän Paulsen das Schiff im Sturm. Doch dann trifft gegen 23 Uhr ein schwerer Brecher das Heck. Das Ruder bricht ab, die Dampfmaschinen setzen aus, Wasser läuft in die Kajüten. Aber noch besteht keine Gefahr.
Rettung erst nach einer Woche
Am Vormittag des 22. November 1850 wird in einiger Entfernung ein Segelschiff gesichtet, das den Havaristen aber nicht bemerkt. Als der Kapitän der Mannschaft verbietet, die Rettungsboote zu besteigen und dem Segler hinterherzurudern, kommt es beinahe zur Meuterei. Eine Woche Tage lang treibt das Schiff nun manövrierunfähig auf der See. Ständig müssen Besatzung und Passagiere das durch mehrere Lecks eindringende Wasser abpumpen. Dann endlich erscheint ein amerikanisches Segelschiff. Neun Menschen ertrinken, als ein Rettungsboot unter den Bug des Dampfers gerät und umschlägt. Einer der Passagiere, ein Seifensieder aus Hagenow, wird angeblich von seinen Goldstücken in die eisige Tiefe gezogen, die er in die Kleidung eingenäht am Körper trägt. Der Kapitän geht als letzter von Bord, dann versinkt das Schiff im Nordatlantik.
Der Dampfer entscheidet das Rennen
Reeder Sloman erfährt drei Tage vor Heiligabend von dem Unglück. Auf der Nordatlantikroute lässt er fortan wieder Segelschiffe fahren. Noch immer ist seine Reederei die größte in Hamburg. Ende der 1850er-Jahre besitzt sie 21 Schiffe, ist im Liniendienst auch nach Brasilien und Chile unterwegs. Aber erst sein Sohn setzt ab 1872 zögerlich wieder Dampfer auf weiten Strecken ein, holt etwa mit speziellen Kühlschiffen Südfrüchte aus Italien. Die Hapag hingegen baut ihre Flotte an Auswandererdampfern, die in diesen Jahren schneller werden und den Segelschiffen den Rang ablaufen, immer weiter aus. Unter Albert Ballin steigt sie im Kaiserreich zur größten Schifffahrtslinie der Welt auf.
Dieses Thema im Programm:
NDR Fernsehen | Landpartie - Im Norden unterwegs | 29.10.2017 | 20:30 Uhr