
Nach Messerangriff in Hamburg Verdächtige kommt in Psychiatrie
Drei Tage nach dem Messerangriff am Hamburger Hauptbahnhof ist die Tatverdächtige am Montag in eine psychiatrische Klinik überführt worden. Die Frau soll bereits mehrfach polizeilich aufgefallen sein. Debattiert wird über das Sicherheitskonzept am Hauptbahnhof.
Die mutmaßliche Täterin hatte die Tat vor dem Haftrichter eingeräumt, wie eine Sprecherin der Generalstaatsanwaltschaft Hamburg am Sonntag mitteilte. Die Frau ist laut Polizei 39 Jahre alt, besitzt die deutsche Staatsangehörigkeit und ist ohne festen Wohnsitz.
Unterbringung in psychiatrischer Klinik angeordnet
Bereits am Sonnabend hatte die Polizei mitgeteilt, dass ein Haftrichter die Unterbringung der Verdächtigen in einer Klinik angeordnet hat. Der Unterbringungsbefehl laute auf versuchten Totschlag in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung in 15 Fällen. 15 Menschen waren laut Polizei unmittelbar durch das Messer verletzt worden, drei weitere erlitten andere Verletzungen "beispielsweise durch einen Sturz oder Schock". Vier der Verletzten schwebten zeitweise in Lebensgefahr. Die Verletzten sind im Alter von 19 bis 85 Jahren. Bei drei von ihnen ist bislang bekannt, dass sie aus Niedersachsen stammen, vier weitere sollen aus Bremen kommen.

Polizei und Spurensicherung sind in der Nacht im Einsatz nahe des Tatorts im Hamburger Hauptbahnhof.
Die vier lebensgefährlich verletzten Opfer befinden sich seit Sonnabend in einem stabilen Zustand. 13 der verletzten Personen haben das Krankenhaus inzwischen wieder verlassen. Bei zwei weiteren ist die Entlassung geplant, wie NDR 90,3 am Dienstagnachmittag berichtete. Die 39-jährige Tatverdächtige befindet sich inzwischen in der Psychiatrie. Sie wurde am Montagnachmittag in die geschlossene Station des psychiatrischen Krankenhauses Ochsenzoll überführt.
Frau am Vortag aus geschlossener Einrichtung entlassen
Nach NDR Informationen war die Frau erst einen Tag vor dem Messerangriff am Hauptbahnhof aus der geschlossenen Psychiatrie der Geestland-Klinik bei Bremerhaven entlassen worden. Zum Zeitpunkt der Entlassung habe es keinen medizinischen Befund gegeben, der eine weitere Unterbringung gerechtfertigt hätte, teilte die Klinik mit.
Anfang Mai war die Frau hilflos aufgefunden worden, wie das niedersächsische Gesundheitsministerium mitteilte. Sie sei daraufhin eingewiesen und für drei Wochen in der Geestland-Klinik behandelt worden. Über ihre Krankheit gibt es keine offiziellen Angaben. Laut "Bild" leidet sie unter paranoider Schizophrenie.
Seit 2021 immer wieder auffällig
Die 39-Jährige soll aus Braunschweig stammen. Das niedersächsische Innenministerium gab am Sonntag bekannt, dass die Frau seit 2021 immer wieder polizeilich aufgefallen sei. "Unter anderem erschien sie mehrfach auf Polizeidienststellen und zeigte dabei deutliche Anzeichen einer psychischen Erkrankung", so das Ministerium. Im vergangenen Jahr habe die Polizei mehrere Strafverfahren gegen die Verdächtige eingeleitet.
Gewalttätig gegen Kind
So soll die Frau im Februar auf einem Spielplatz am Hamburger Flughafen gegenüber einem sechsjährigen Mädchen gewalttätig geworden sein, teilte die Staatsanwaltschaft Hamburg mit. Ein von der Polizei hinzugezogener Amtsarzt habe daraufhin ihre Unterbringung in einer psychiatrischen Klinik angeordnet. Das Verfahren wegen des Verdachts auf Körperverletzung laufe noch.
In der Klinik sei es dann später zu einem weiteren Vorfall gekommen: So habe Anfang März eine Mitpatientin die 39-Jährige angezeigt, weil diese ihr einen Tritt gegen den Oberschenkel versetzt haben soll.
Polizeikontrolle am Vortag der Tat
Einen Tag vor der Tat am Hauptbahnhof habe sich die Beschuldigte erneut am Flughafen aufgehalten. Dort sei sie einem Rettungsdienstmitarbeiter aufgrund von Verletzungsspuren im Gesicht aufgefallen. Dieser habe dann die Polizei informiert. Gegenüber den Beamtinnen und Beamten habe die Frau angegeben, während eines Klinikaufenthalts von einem Pfleger verletzt worden zu sein. Da sie keine Strafanzeige stellen wollte und angab, noch am selben Tag nach Paris zu fliegen, habe man sie gehen lassen, sagte die Sprecherin.
Am Tattag selbst sei sie dann erneut am Flughafen aufgetaucht, wiederum mit der erklärten Absicht, nach Paris fliegen zu wollen. "Zu einer entsprechenden Reise kam es jedoch schon deshalb nicht, da sie sich nicht ausweisen konnte", sagte die Sprecherin der Staatsanwaltschaft. "Darüber hinaus kam es im Juni 2023 sowie im März 2024 zu zwei Vorkommnissen im Straßenverkehr, an denen die 39-Jährige als Fahrradfahrerin beziehungsweise als Fußgängerin in strafrechtlich nicht relevanter Weise beteiligt gewesen sein soll."
Passanten konnten Angriff stoppen
Die Frau war am Freitagabend festgenommen worden, nachdem sie am Bahnsteig wahllos um sich gestochen haben soll. Beim Eintreffen der Polizei hatte sie sich widerstandslos festnehmen lassen. Zwei Passanten konnten nach Polizei-Angaben durch ihr schnelles Eingreifen den Angriff der Frau stoppen. Laut Hamburg Journal handelt es sich bei den Passanten um einen Mann aus Tschetschenien und einen jungen Syrer. Die Tat ereignete sich auf einem Bahnsteig zwischen Gleis 13 und 14 außerhalb der Bahnhofshalle vor einem wartenden ICE. Die Polizei schließt ein politisches Motiv aus.

Kurz nach 18 Uhr rückte am Freitagabend ein Großaufgebot der Feuerwehr zum Hamburger Hauptbahnhof aus.
Insgesamt war die Polizei Hamburg mit 350 und die Bundespolizei mit rund 60 Beamtinnen und Beamten im Einsatz. Feuerwehr und Rettungsdienst waren mit 50 Kräften vor Ort, um die Verletzen zu betreuen.
Gladiator: Waffenverbotszone ist wichtig
Der Hamburger Hauptbahnhof wird täglich von mehr als 500.000 Menschen frequentiert. Im Bahnhof und im öffentlichen Personennahverkehr der Hansestadt ist das Mitführen von Waffen, auch Messern, verboten. Nach der Tat stellt sich nun die Frage, was die Waffenverbotszone bringt.
Dazu sagte der innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion in der Hamburger Bürgerschaft, Dennis Gladiator, am Sonntag im Hamburg Journal: "Die Waffenverbotszonen sind wichtig, weil sie für die Polizei erweiterte Kontrollmöglichkeiten bedeuten. Aber diese Kontrollen müssen auch erfolgen können, das heißt, die Polizei muss entsprechend aufgestellt sein", so Gladiator.
Kommt KI-basierte Videoüberwachung?
Der Sprecher der Innenbehörde, Daniel Schaefer, sagte, nach so einer Tat komme das ganze Sicherheitskonzept noch einmal auf den Tisch. Man wolle sich genau ansehen, wo man nachschärfen könne. Hundertprozentige Sicherheit gebe es zwar nicht, aber: "Videoüberwachung ist ein Teil des Konzepts. Wir erproben bereits am Hansaplatz eine KI-basierte Videoüberwachung, die auffällige Bewegungsmuster erkennt."
Auch Andreas Roßkopf, Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei für die Bundespolizei, forderte bessere Kontrollmöglichkeiten für die Bundespolizei auf Bahnhöfen und den verstärkten Einsatz von künstlicher Intelligenz bei der Kameratechnik, die auch Verhaltenserkennung beinhalte, damit man Verhaltensauffälligkeiten frühzeitig erkennen könne.
Bahnchef dankt Einsatzkräften
"Wir sind alle noch bestürzt und fassungslos vor dem Hintergrund dessen, was da am letzten Freitagabend passiert ist", sagte Bahnchef Richard Lutz am Montag in Kiel. Auf dem Weg nach Kiel habe er deshalb einen Zug früher als geplant genommen und einen Stopp in Hamburg eingelegt. Er habe in der Hansestadt mit den Kolleginnen und Kollegen, die teilweise vor Ort gewesen seien, gesprochen und ihnen gedankt. Sie seien innerhalb von 90 Sekunden vor Ort gewesen und hätten schnell eingegriffen.
"Wir müssen uns alle darüber einig sein - auch das hat der Einsatzleiter gesagt - wir werden keine hundertprozentige Sicherheit in einem so offenen System hinbekommen, wie es die Bundesrepublik Deutschland auszeichnet", sagte Lutz. Trotzdem gelte es, die Sicherheitskonzepte nachzuschärfen und aus Vorfällen zu lernen.
Polizei sammelt Hinweise
Die Polizei schaltete ein Hinweisportal frei, in dem Zeuginnen und Zeugen Informationen, Fotos und Videos im Zusammenhang mit der Tat zur Verfügung stellen können.
Dieses Thema im Programm:
NDR 90,3 | NDR 90,3 Aktuell | 27.05.2025 | 15:00 Uhr