
Brandenburg Berlin Workshop für Lehrer: Was tun gegen Rechtsextremismus im Klassenzimmer?
Rechtsextremismus an Schulen ist ein wachsendes Problem. In Brandenburg stieg die Zahl der Vorfälle zuletzt deutlich. Die Berliner Beratungsstelle Crossroads will Lehrkräfte mit Workshops besser darauf vorbereiten. Von Simon Wenzel
Rund 20 Lehrerinnen und Lehrer, Sozial- und Projektarbeiter sitzen im Stuhlkreis und stellen sich vor. Workshop im Rahmen der Tincon, des Jugend-Programms der Berliner Digitalmesse Republica, Thema: "Mit Rechtsextremismus in der Schule umgehen". Hubert Heiner ist der erste in der Reihe. Er unterrichtet an einer Grund- und Gesamtschule in Brandenburg, in der Gemeinde Kloster Lehnin.
Das Meiste von dem, was im Workshop besprochen wird, soll auch dort bleiben. Aber Heiner schildert später nochmal gegenüber rbb|24, wieso er hier ist. Seit etwa zwei Jahren unterrichte er wieder in Brandenburg. Dabei habe er "immer wieder" von "mehr oder weniger direkt rechsradikalen oder homophoben Aussagen" erfahren. Ab der fünften Klasse aufwärts von Schülerinnen und Schülern fast aller Altersklassen, sagt Heiner. "Auch Kollegen sagen mir: Ja, das kommt hier vor."
Am zweiten Tag an der neuen Schule habe ihm ein Schüler im Vorbeigehen einen Hitlergruß gezeigt, sagt Heiner. Das habe er zunächst gar nicht so richtig verstanden. "Das Thema Rechtsextremismus war in den Nuller-Jahren ja schonmal ein großes, da war ich auch hier in Brandenburg als Lehrer tätig", sagt Heiner. Zwischenzeitlich hatte er in Niedersachsen gearbeitet und dachte, "das Thema sei vorbei". Den Hitlergruß habe er im ersten Moment gar nicht realisiert, dann sei er "geschockt" gewesen.

Unsicherheit im Umgang mit Rechtsextremismus
Im Workshop sollen sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu mehreren Fragen positionieren. "Ich fühle mich sicher, im Umgang mit diskriminierenden Aussagen im Unterricht", lautet eine davon. Auf einer Seite des Raumes liegt ein Zettel mit "Ja", auf der anderen einer mit "Nein". Nach kurzem Gewusel stehen die meisten der rund 20 Personen dem "Nein" näher als dem "Ja" oder unentschlossen in der Mitte.
Mehrere Bedenken werden im Laufe des Workshops deutlich: Was darf man als Lehrkraft im Spannungsfeld zwischen politischer Neutralität und Einsetzen für die Demokratie? Und was ist der richtige Ton, die richtige Ansprechhaltung gegenüber den Schülerinnen und Schülern, um im Dialog zu bleiben?
Workshop-Leiter Julian von der Beratungsstelle Crossroads geht es heute darum, den Lehrkräften zu zeigen, was ihre Rolle ist. "Was sehe ich als wichtig an, was ist mein Lehrauftrag? Gleichzeitig geben wir den Input, dass sich alle damit auseinandersetzen sollten - unabhängig von ihrem Fachgebiet", sagt er. Weil Crossroads auch Ausstiegsbegleitung für Menschen aus der rechtsextremen Szene macht und Beratungen für deren Angehörige anbietet, soll sein Nachname ungenannt bleiben.

"ja" oder "nein"? Die Lehrkräfte positionieren sich im Raum - eine Szene aus dem Workshop auf der Tincon.
Mehr rechte Straftaten an Schulen
Die Arbeit an und mit Schulen hat bei Crossroads inzwischen einen hohen Stellenwert. Rechtsextremismus nimmt auch hier zu. In Brandenburg stieg die Zahl politisch motivierter rechter Straftaten an Schulen zuletzt deutlich. In der Polizeistatistik für das Jahr 2024 werden 336 Fälle ausgewiesen. Im Vorjahr waren es noch 258. Crossroads bietet Workshops wie diesen nicht nur im Rahmen der Jugend-Konferenz Tincon an. Manchmal werden sie auch für ganze Kollegien an Schulen durchgeführt.
Nicht jeder Lehrer sehe es allerdings als seinen Auftrag, rechtsextremistischen Äußerungen entgegenzuwirken, schildert Julian. Bei Fortbildungen mit 40 oder 50 Leuten seien neben den engagierten Lehrkräften immer auch welche dabei, "für die es gar keine Rolle spielt, die sich nicht damit auseinander setzen wollen".
Ein anderes, großes Problem, welches auch die engagierten Teilnehmer im Workshop herausarbeiten: Zeit. "Es ist ja klar: Wenn ich 300 Schülerinnen und Schüler in der Woche in meinem Unterricht sehe, ist es schwierig, mich mit einem einzelnen auseinander zu setzen", sagt Julian. Das sei ein "systemisches Problem". Seine Erfahrunge ist Lehrkräfte würden das Thema gerne "sehr schnell abgeben nach außen" - also an Stellen wie Crossroads, um selbst wieder ihrem Unterricht nachgehen zu können.

Konkrete Leitfäden fehlen manchmal an Schulen
Er würde sich deshalb wünschen, dass Schulen nicht nur kurzfristige Hilfe von ihm und seinen Kollegen in Anspruch nähmen, sondern gemeinsam in längerer Zusammenarbeit Handlungskonzepte erstellen würden, sagt Julian. Diese Handlungskonzepte gibt es offenbar nicht immer. Auch im Workshop werden die Teilnehmer gefragt, ob es an ihrer Schule konkrete Handlungsleitfäden gebe - niemand hebt entschlossen die Hand. Auch Hubert Heiner aus Lehnin nicht. "Dass es das geben müsste, ist mir bewusst. Ich wüsste aber nicht, dass wir es hätten", sagt er.
Er sei auch deshalb in den Workshop gegangen, weil er habe sehen wollen, ob es etwas gebe, was er seinen Kollegen mitgeben könne. "Ich habe mit meinen Fächern als Politik und Geschichtslehrer natürlich einen Vorteil", so Heiner. In seinem Unterricht habe es zwar noch keine direkten Vorfälle von Rechtsextremismus gegeben, aber es gebe zumindest Schüler, bei denen er eine "AfD-Affinität" merke. Die Partei wurde vom Brandenburger Verfassungsschutz bis zu einer Klage der Partei kurzzeitig als "gesichert rechtsextrem" eingestuft, nun gilt die Landespartei bis zum Abschluss eines gerichtlichen Eilverfahrens als rechtsextremer Verdachtsfall.

Lehrer sollen Haltung zeigen, aber dialogbereit bleiben
Workshop-Leiter Julian ermuntert die Lehrkräfte, den Dialog aufrecht zu erhalten. "Jugendliche sind häufig weniger gefestigt als viele Erwachsene", sagt er. Sie seien noch motivierter, sich mit der eigenen Zukunft auseinander zu setzen. "Jugendliche, die in rechten Szenen unterwegs sind, merken auch: Sie bekommen Stress mit der Polizei, vielleicht mit ihren Eltern, dem Umfeld, Freunde wenden sich ab. Sie merken also, dass es nicht nur eine sozusagen intellektuelle Auseinandersetzung ist, sondern Konsequenzen im Sozialleben hat", sagt Julian. Dadurch seien sie beeinflussbar. "Genauso schnell wie sie sich radikalisieren können, können sie sich wieder anderen Themen zuwenden", teilweise gehe das innerhalb von Monaten.
Lehrerinnen und Lehreren rät er deshalb auch, den Schülerinnen und Schülern eine Möglichkeit zu bieten, ihre Aussagen zurückzunehmen. Bei rechtsextremen Aussagen gelte es, Haltung zeigen, sich aber gleichzeitig der Situation bewusst sein.
"Ein häufiges Poblem ist ein belehrender Ton und das ohnehin vorhandene Machtungleichgewicht", so Julian. Lehrer müssten es schaffen, zu einer Person zu werden, die klar Haltung beziehe, aber dialogbereit bleibe. Der Widerspruch gegen eine rechtsextreme Aussage könne beispielsweise mit Verweis auf die Schule und deren Regeln geschehen.
"Man muss für Demokratie einstehen"
Dafür sei es auch wichtig, die eigenen rechtlichen Grundlagen zu kennen, sagt seine Kollegin im Workshop den Lehrkräften. In Berlin beispielsweise stehe sehr wohl im Schulgesetz, dass Persönlichkeiten "herangebildet" werden sollten, die fähig seien, sich der "Ideologie des Nationalsozialismus" entgegenzustellen. So sei es beispielsweise vor diesem Hintergrund möglich, einzelne rechtsradikale Aussagen von Politikern im Unterricht zu analysieren.
Hubert Heiner nimmt diese Erkenntnisse mit an seine Schule, auch für die Kollegen, wie er sagt. Angst mache ihm die Aufgabe nicht. "Davon darf der Kampf um Demokratie nicht begleitet werden. Man muss dafür einstehen", sagt er.
Die Grund- und Gesamtschule Lehnin an der er unterrichtet, trägt bereits seit anderthalb Jahren den Titel "Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage". In Fällen wie dem angeblichen Hitlergruß im Vorbeigehen helfe aber nur eine Meldung an den Schulleiter, sagt Heiner. Damals habe er erstmal aber überrumpelt ob es Vorfalls gar nicht reagiert.