Symbolbild: Zwei Jungs spielen ein Videospiel im Kinderzimmer. (Quelle: imago images/Ilona)

Berlin Serious Games: Politische Bildung auf Augenhöhe mit den Gamern

Stand: 29.05.2025 11:25 Uhr

Videospiele greifen immer häufiger ernste Themen auf und vermitteln auch Wissen. Sie werden deshalb vermehrt in der politischen Bildung eingesetzt – auch von Berliner Initiativen. Von Nathalie Daiber und Lukas Haas

"Willkommen an der Front", sagt Fritz Bauer zur jungen Staatsanwältin Esther Katz. Der legendäre hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, der in der frühen Bundesrepublik die Ausschwitzprozesse ins Rollen gebracht hatte. Es ist der Beginn eines ungewöhnlichen Videospiels: "The Darkest File” ist in der Welt von Fritz Bauer angesiedelt, in der Frankfurter Staatsanwaltschaft im Jahr 1956, elf Jahre nach dem Ende des NS-Regimes.
 
Die Spieler schlüpfen in die Rolle von Esther Katz und ermitteln gegen Täter aus der NS-Zeit. Vom Anfangsverdacht bis zum Prozess. Die Staatsanwältin ist fiktiv, die Fälle aber real. Der erste Fall dreht sich beispielsweise um einen Mann, der 1945 in München von der Polizei ohne Begründung verschleppt und später ermordet aufgefunden wird. Im Visier: die Beamten, die ihn in Gewahrsam nahmen.
 
Das Spiel rund um Fritz Bauer reiht sich ein in eine Reihe von Computerspielen, die immer mehr Raum in der Welt der Videospiele einnehmen: Serious Games. Spiele, die mehr sein wollen als Unterhaltung; die einen Bildungsanspruch haben. Auch Initiativen, Erinnerungs- und Bildungsstätten investieren immer häufiger Geld in solche Games, um junge Menschen zu erreichen und demokratiefördernde Werte zu vermitteln. Eine Chance für die Bildungsarbeit - gerade jetzt, wo sich viele Jugendliche nach rechts orientieren.

Games als "erzählendes Leitmedium dieses Jahrhunderts"

Mit seiner Firma Paintbucket hat Jörg Friedrich "The Darkest Files" entwickelt und verfolgt damit ein klares Ziel. Man wolle zeigen, “wie diese kleinen, furchtbaren Verbrechen in so einem Unrechtsstaat passieren können, ohne dass sie bestraft werden. Und wie das eigentlich denselben Geist atmet, der dann Ausschwitz möglich macht“, sagt er.
 
Fast alle Spiele der Firma wollen mehr sein als reine Unterhaltung und auch Wissen vermitteln. Im Vorgängerspiel "Through the Darkest of Times" zum Beispiel geht es um zivilen Widerstand während der Nazi-Herrschaft. Das Studio gewann dafür 2020 den deutschen Entwicklerpreis
 
Immer noch seien laut Friedrich die meisten Blockbusterspiele reine Unterhaltung. Sie erzählen zwar zum Beispiel vom zweiten Weltkrieg, aber ordnen den historischen Kontext kaum ein. "Sehr wenige dieser Games erzählen zum Beispiel über Ausschwitz. Oder über Antisemitismus. Oder über die Zerstörung der Demokratie", sagt Jörg Friedrich. Das sei ein Problem, weil viele Menschen mehr Zeit mit Spielen verbringen als mit Büchern oder Filmen. "Ich halte Games für das erzählende Leitmedium dieses Jahrhunderts und wenn da bestimmte Geschichten gar nicht stattfinden, dann ist das ein Problem."
 
Der Historiker Matej Samide von der Stiftung Digitale Spielekultur hat auf der diesjährigen Digitalkonferenz Re:publica einen Vortrag über die "demokratische Kraft" von Videospielen gehalten. Er erkennt aktuell einen Gegentrend in der Spielindustrie – hin zu ernsthafteren Inhalten. "Computerspiele sind als Medium erwachsen geworden. Sie versuchen, große Geschichten zu erzählen und auch etwas zu transportieren", sagt er.

Archivbild:11.05.2023, Berlin: Der Gamescom Bot steht vor der Fotowand mit Schriftzug "Der Deutsche Computerspielpreis".(Quelle:dpa/H.P.Albert)
Berliner Entwicklerstudios gewinnen Preise für Videospiele
Für die Videospiel-Branche war es der wohl wichtigste Tag des Jahres: In München wurde der Deutsche Computerspielpreis vergeben. Insgesamt 800.000 Euro Preisgeld ging an Kreativschaffende, abgeräumt haben auch mehrere Studios aus Berlin. Von Magnus von Keilmehr

Schüler in ihrer Lebenswelt erreichen

In Deutschland spielen laut dem Spieleverband GAME 6 von 10 Menschen Videospiele. Das sei eine große Chance für die Bildungsarbeit, sagt Samide. Spiele seien immersiver als andere Medien, so Samide. "Dadurch dass ich eben direkt in die Spiele eingreife und interagiere, habe ich eine ganz andere Beziehung zum Erlebten, als wenn ich es gelesen oder gesehen habe."
 
Das machen sich inzwischen auch immer mehr Initiativen und Bildungsstätten zu nutzen. Sie investieren Geld in die Entwicklung von Serious Games. Die Kreuzberger Initiative gegen Antisemitismus hat ein Spiel für Schüler entwickelt, das den Umgang mit Toleranz lehren soll: „Das Ilios-Experiment“. Fadl Speck von der Initiative hat das Spiel mitentwickelt.
 
"Wir müssen die Zielgruppe da abholen, wo sie ist", sagt er. „Und Jugendliche, egal ob Jungen oder Mädchen, spielen“. Mittels Videogames findet man in einem Raum statt, der wichtig für die Lebenswelt der Schüler sei. "Und allein das honorieren die Jugendlichen schon. Dass wir auf diese Ebene kommen."
 
Solche politischen Bildungsangebote auf Augenhöhe seien aktuell besonders wichtig. "Wir erleben Schulklassen in unseren Workshops, in denen die Einstellungen zunehmend rechts wegdriften", sagt Fadl Speck.

Kein Allheilmittel, aber eine Chance

Im „Ilios-Experiment“ müssen sich die Schüler in der fiktiven Zukunfts-Stadt Ilios zurechtfinden, in der es einen Toleranz-Score gibt, der tolerantes Verhalten belohnt und intolerantes bestraft. „Da passiert unglaublich viel Reflektion“, sagt Fadl Speck. „Oft haben wir gehört, ich kenne diese Situation, das habe ich schon erlebt.“
 
Und genau diese Identifikation sei hilfreich für die politische Bildung. Dennoch sei das Spiel kein Allheilmittel. „Dieses Spiel wird niemanden aus einem rechten Mindset rausholen und das kann es auch gar nicht“, sagt Fadl Speck. „Trotzdem bietet so ein Spiel die Möglichkeit, eine Tür aufzustoßen.“
 
Die Potentiale von Videospielen für die politische Bildung sind groß. Sie gehören mittlerweile für viele Menschen zum Alltag. Warum also nicht auch spielend lernen? Matej Samedi zum Beispiel hat als Jugendlicher am liebsten “Age of Empire” gespielt. Darin sind viele historische Elemente enthalten. Das hat ihn dazu gebracht, Geschichte auch zu studieren. Heute ist er Historiker.

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