
Berlin Junge Deutsch-Türkinnen in Berlin: "Ihr Zuhause ist hier"
Deutsch-Türkinnen in Berlin fühlen sich heute vielfach als Berlinerinnen. Sie sind längst nicht nur in ihrer Nachbarschaft unterwegs, sondern fühlen sich auch in anderen Stadtteilen zugehörig. Dazu geforscht hat die Sozialwissenschaftlerin Ceren Kulkul.
rbb|24: Frau Kulkul, Sie haben zu türkisch-muslimischen Frauen in Berliner Kiezen geforscht. Was macht für Ihre Interviewpartnerinnen eine "gute Nachbarschaft" in Berlin aus?
Ceren Kulkul: Ich habe die Teilnehmer meiner Studie nicht direkt gefragt, was gute Nachbarschaft für sie ausmacht. Doch die Frauen, mit denen ich gesprochen habe, haben sich durchweg positiv über Stadtteile geäußert, in denen sie sich sicher fühlen. Dabei ging es um viele Facetten: das Gefühl der Sicherheit als Frau, als Mutter, als Migrantin, als Angehörige einer Minderheit und sogar als junger Mensch. Neben Sicherheit war auch Bequemlichkeit ein wichtiger Faktor. Dazu gehört der Zugang zu Parks, Geschäften, Märkten und Räumen für soziale Interaktion.
Haben die von Ihnen befragten Frauen vor allem Kontakt zu anderen aus der Türkei stammenden Frauen?
Während häufig angenommen wird, dass Migranten sich auf ihren Kiez beschränken, zeigen meine Untersuchungen, dass viele und gerade die jüngeren Generationen häufig andere Stadtteile besuchen, denen sie sich zugehörig fühlen - auch wenn sie dort nicht wohnen. In Städten wie Berlin kommen junge Menschen mit unterschiedlichstem Hintergrund oft zusammen. Auch wenn reines Zusammenkommen allein keine Garantie für Inklusion ist, sollte man die Bedeutung einer Umgebung, die solche Begegnungen möglich macht, nicht unterschätzen.
Die Frauen, denen ich während meiner Forschung begegnete, standen aus verschiedenen Gründen und in unterschiedlichen Kontexten in Kontakt mit Menschen außerhalb ihrer eigenen ethnischen oder religiösen Gruppe. Das gilt insbesondere für Mütter. Sie nutzen zwar Netze innerhalb ihrer eigenen Gemeinschaft, haben meist aber auch mit anderen zu tun, zum Beispiel mit Nachbarn, anderen Müttern in Parks oder Eltern, die sie in den Schulen ihrer Kinder kennenlernen.
Gibt es bestimmte Kieze oder Bezirke in Berlin, die für Ihre Studie besonders prägend waren?
Ja. Neukölln, Wedding und Kreuzberg waren zentral für meine Forschung. Das liegt vor allem daran, dass in diesen Gebieten eine große türkische Bevölkerung lebt. Auch wenn es in diesen Vierteln keine komplett homogenen oder isolierten türkischen Enklaven gibt, sind die Auswirkungen der – insbesondere türkischen - Migration in bestimmten Straßenzügen deutlich sichtbar.
Berliner zu sein ist zu einer Form der Zugehörigkeit geworden, die über die nationale Herkunft, Pässe, Religion oder Kultur hinausgeht
Welche Erfahrungen machen muslimische Frauen in Berlin in Bezug auf Zugehörigkeit und Teilhabe?
Betrachtet man das Leben von Migranten in Städten, kommen unweigerlich die Themen Marginalisierung und Diskriminierung ins Spiel. Das wirft die Frage auf, wie der einzelne mit diesen Erfahrungen umgeht und welche Gegenstrategien er entwickelt. Die Antworten auf diese Fragen waren im Rahmen meiner Forschung sehr vielfältig. Jede Frau entwickelte ihre eigene Strategie, mit Zugehörigkeit umzugehen und Diskriminierung zu begegnen.
Auf Diskriminierungen reagiert jede Frau auf der Basis ihrer individuellen Umstände und früheren Erfahrungen. Einige verteidigen sich aktiv. Oft wurde das auch zur Verteidigung der eigenen Identität, Nationalität, des Glaubens oder der Kultur. Für andere schien Schweigen die geeignetere Strategie zu sein. Zugehörigkeit hingegen wird ständig verhandelt. Das Gefühl der Zugehörigkeit zur eigenen Gemeinschaft muss man getrennt vom Gefühl der Zugehörigkeit zur Stadt - in diesem Fall Berlin - sehen. Aber auch Zugehörigkeit ist variabel, komplex und vielfältig.

Welche Rolle spielen Moscheen, Nachbarschaftscafés oder Frauengruppen bei der alltäglichen Vernetzung?
Sie spielen eine entscheidende Rolle bei der Stärkung von Zugehörigkeit. Eine muslimische Frau geht nicht nur aus religiösen Gründen in die Moschee. Diese Orte sind wichtige Treffpunkte, um Kontakte zu knüpfen und emotionale und praktische Unterstützung zu finden. Sie sind jedoch keine konfliktfreien Zonen - hier finden auch Meinungsverschiedenheiten und Auseinandersetzungen statt. Ebenso haben Nachbarschaftscafés und andere öffentliche Räume einen Einfluss auf die Beziehungen, die Migranten aufbauen - sowohl innerhalb ihrer eigenen Gemeinschaft als auch mit der Stadtgesellschaft. So traf ich beispielsweise eine meiner Interviewpartnerinnen, eine Studentin in den Zwanzigern mit Kopftuch, in einem Café in Kreuzberg. Es ist ein beliebter Treffpunkt, der von vielen internationalen Studenten und Anwohnern besucht wird. Sie drückte ihr Zugehörigkeitsgefühl aus, indem sie beschrieb, wie wohl und willkommen sie sich in diesem Café fühlt.
Gibt es Unterschiede zwischen den Generationen, wie junge und ältere Frauen ihr Leben in Berlin gestalten oder erleben?
Es gibt erhebliche Unterschiede in der Art und Weise, wie Frauen ihr Leben in Berlin gestalten und erleben. Die erste Welle türkischer Migranten, die in den 1960er Jahren ankam, war meist männlich und kam mit der Absicht, vorübergehend zu arbeiten, Geld nach Hause zu schicken und schließlich in die Türkei zurückzukehren. Nachdem ihre Familien nachgezogen waren, begannen sie, sich ein Leben in Deutschland aufzubauen.
Dennoch lebten viele weiter mit dem Gedanken an eine Rückkehr. Ihre Kinder, die zweite Generation, gingen meist in deutsche Schulen und wuchsen mit beiden Kulturen auf. Selbst bei ihnen hielt sich der Gedanke, irgendwann in die Türkei zurückzukehren, oft hartnäckig.
Die dritte Generation ist jedoch anders. Diese Menschen sind in Deutschland geboren und aufgewachsen. Viele Frauen dieser Generation identifizieren sich nicht mehr ausschließlich als Türkinnen oder Deutsche, sondern als Berlinerinnen. Ihre Kinder wachsen nun in derselben Stadt auf, besuchen deutsche Schulen und die Stadt ist auch ihr soziales Umfeld. Der Begriff der "Rückkehr" ist für diese Generation weitgehend irrelevant. Ihr Zuhause ist hier.

Wenn Sie an Ihre Recherche zurückdenken, gab es da eine Szene oder eine Aussage, die besonders typisch Berlin war?
Als ich eine Frau der dritten Generation fragte, wie sie sich definiert, sagte sie ohne zu zögern: "Ich bin Berlinerin." Die Tatsache, dass die Stadt selbst zu einem primären Identitätsmerkmal geworden ist - insbesondere für jemanden mit Migrationshintergrund – ist für viele von großer Bedeutung. Berliner zu sein ist zu einer Form der Zugehörigkeit geworden, die über die nationale Herkunft, Pässe, Religion oder Kultur hinausgeht. Diese Art der Identifikation bei Menschen mit Migrationshintergrund ist etwas, das es in den wenigsten anderen deutschen Städten so gibt.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Interview führte Sabine Priess.