
Baden-Württemberg Staatsanwaltschaft klagt früheren Inspekteur der Polizei erneut an
Es ist der #Metoo-Fall mit dem bislang ranghöchsten Beschuldigten in Deutschland: die Affäre um den Ex-Inspekteur der Polizei BW. Nach einem ersten Freispruch soll er nun erneut vor Gericht.
Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hat erneut Anklage gegen den früheren Inspekteur der Polizei erhoben. Nach SWR-Informationen wird dem 52-jährigen Andreas R. diesmal Bestechlichkeit vorgeworfen. Er soll einer jüngeren Kollegin versprochen haben, sie in den höheren Dienst zu bringen, wenn sie sich mit ihm einlässt. Die Anwälte des früheren Inspekteurs bestätigten dem SWR den Eingang der 37-seitigen Anklageschrift. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart wollte sich auf Anfrage nicht zu der erneuten Anklage äußern.
#Metoo-Fall mit dem bisher ranghöchsten Beschuldigten in Deutschland
Die Affäre um den damaligen Inspekteur war im November 2021 bekannt geworden. Damals wurde ihm vorgeworfen, die Kollegin vor einer Kneipe sexuell genötigt zu haben. Vor diesem Vorwurf wurde er aber vor zwei Jahren vom Landgericht Stuttgart aus Mangel an Beweisen freigesprochen. Über die erneute Anklage hatte zuerst der "Südkurier" berichtet. Die Affäre um Andreas R. ist der #Metoo-Fall mit dem bislang ranghöchsten Beschuldigten in Deutschland. Die Affäre um den Ex-Inspekteur der Polizei BW beschäftigt seit drei Jahren auch einen Untersuchungsausschuss des Landtags.
Freispruch für Polizeiinspekteur knapp zwei Jahre her
Im Juli 2023 war Andreas R. am Stuttgarter Landgericht vom Vorwurf der sexuellen Nötigung freigesprochen worden. Es ging um die Frage, ob Andreas R. eine untergebene Kollegin genötigt hat, ihn im November 2021 nachts vor einer Stuttgarter Kneipe intim zu berühren. Am Ende stand Aussage gegen Aussage - und ein Freispruch für den Angeklagten. Das Gericht hielt die Aussage des mutmaßlichen Opfers insgesamt nicht für überzeugend.
Mitgeschnittenes Videotelefonat ist Grund für neue Anklage
Nach der Schlappe im ersten Strafprozess im Juli 2023 verfolgt die Staatsanwaltschaft jetzt einen neuen Ansatz: Es geht um ein Videotelefonat zwischen Andreas R. und der jüngeren Kollegin. Wenige Tage nach dem Kneipenbesuch im November 2021 kam es auf Betreiben von Andreas R. zu einem Skype-Gespräch, das die Beamtin im Homeoffice heimlich mit dem Smartphone akustisch mitschnitt. Im ersten Prozess wurde es ohne Öffentlichkeit angehört - auf das erste Urteil hatte es laut Richter keinen Einfluss, weil es nach den Vorgängen vor der Kneipe aufgenommen wurde.
Nach SWR-Informationen versuchte der Inspekteur die junge Frau darin zu überreden, sich mit ihm einzulassen. Demnach versicherte er in dem Gespräch mehrfach, dass sie durch den privaten Kontakt auch beruflich nur Vorteile haben werde. Er werde sie zu "1.000 Prozent" durch den Auswahlprozess für den höheren Dienst bringen, versprach er ihr. Aus dem Telefonat ging hervor, dass die Frau sich vor dienstlichen Konsequenzen fürchtete, sollte sie den Inspekteur zurückweisen.
U-Ausschuss nimmt Beförderungspraxis bei Polizei unter die Lupe
In dem Verfahren ging es auch um die Frage, ob der ranghöchste Polizist des Landes seine Machtstellung als Vorgesetzter missbrauchte, um die Kommissarin zu sexuellen Gefälligkeiten zu drängen. Der U-Ausschuss versucht schon seit Juni 2022 herauszufinden, wie Andreas R. so schnell Karriere machen konnte und ob bei der Beförderungspraxis bei der Polizei grundsätzlich etwas nicht stimmt.
Der damalige Inspekteur soll nach der eigenen Blitz-Beförderung ihm genehme Kandidatinnen und Kandidaten auf höhere Posten gehievt haben - ohne Rücksicht auf Beurteilungen oder Ausschreibungen zu nehmen. Unliebsame Aspiranten mit besseren Beurteilungen wurden den Aussagen zufolge dazu gedrängt, ihre Bewerbungen zurückzuziehen.
Der SPD-Obmann im U-Ausschuss, Sascha Binder, kritisiert den CDU-Innenminister Strobl für seine Personalauswahl. "Seit Thomas Strobl im Amt ist, beschäftigt sich die Staatsanwaltschaft viel mit den Personen, die er ins Amt gebracht hat und natürlich auch mit ihm selbst. Die erneute Anklage von Strobls Wunsch-Inspekteur zeigt, welch falsche Personalentscheidung der Innenminister durchgedrückt hat", so Binder gegenüber dem SWR.
Ministerium kürzte dem Ex-Inspekteur zuletzt die Bezüge
Der U-Ausschuss läuft nun fast drei Jahre. 36 Sitzungen gab es und 56 Zeugen wurden gehört. Zuletzt gab es im August 2024 eine Wendung: Das Innenministerium verbot Andreas R. seine Dienstgeschäfte zu führen und kürzte ihm seine Bezüge. Statt gut 9.000 Euro pro Monat erhält er nur noch die Hälfte. Bis dahin war er vorläufig des Dienstes enthoben.
Die Entscheidung des Ministeriums von Thomas Strobl (CDU) zeigte, dass man innerhalb des noch laufenden Disziplinarverfahrens zu der Überzeugung gelangt war, dass Andreas R. wegen seiner Verfehlungen am Ende aus dem Beamtenstatus entlassen werden kann.
Anwalt Holger C. Rohne sagte dem SWR: "Es wird höchste Zeit! Wir hatten schon 2023 Beschwerde gegen die Einstellung u.a. wegen Bestechlichkeit eingelegt. Spätestens seit den Verlautbarungen des Landgerichts und des Oberlandesgerichts im Juli 2023 war dann klar: Die Strafbarkeit wegen Bestechlichkeit liegt mindestens nahe. Im Fall einer Verurteilung des Beschuldigten endet sein Beamtenstatus fast sicher."
Mehrfach soll Andreas R. seine sexuellen Fantasien an untergebenen Frauen ausgelassen haben. Am schwersten wiegt nach SWR-Informationen aber der Vorwurf, dass er eine Beförderung für sexuelle Gefälligkeiten in Aussicht gestellt haben solle. Gegen die Kürzung seiner Bezüge klagte der Ex-Inspekteur vor dem Verwaltungsgericht.
Die politische Dimension der Polizei-Affäre in BW
Strobl hatte sich zu Beginn der Affäre mit einer rechtlich umstrittenen Aktion in die Bredouille gebracht. Er gab Ende 2021 heimlich ein Schreiben des Anwalts von Andreas R. an eine Zeitung weiter. Strobl sagte, er habe damit deutlich machen wollen, dass mit ihm in dieser Affäre kein Deal zu machen sei.
Die Staatsanwaltschaft wollte ermitteln, bekam dafür vom Innenministerium aber keine Ermächtigung. Vier Monate lang blieb unklar, wer das Schreiben durchgestochen hatte. Bis Strobl einräumte, es selbst veranlasst zu haben. Die Opposition forderte Strobls Rücktritt, doch Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hielt an ihm fest. Die Staatsanwaltschaft ermittelte dann auch gegen Strobl wegen der Weitergabe des Anwaltsschreibens.
Kurze Zeit später wurde im Landtag der U-Ausschuss eingesetzt, auch um Druck auf den CDU-Minister zu machen. Ende Oktober 2022 wurde das Angebot der Staatsanwaltschaft bekannt, das Verfahren gegen Strobl einzustellen, wenn er eine Geldauflage von 15.000 Euro bezahlt. Der Innenminister akzeptierte und holte sich dafür Unterstützung von der CDU-Fraktion.
Sendung am Sa., 24.5.2025 11:00 Uhr, SWR1 BW Nachrichten