
Baden-Württemberg Ultimatum gesetzt: Umwelthilfe droht BW-Regierung mit Klimaklage
Grün-Schwarz wollte BW zum Klimaschutzland Nummer eins machen. Doch dieses Ziel rückt in weite Ferne. Nun will ein Umweltaktivist die Regierung juristisch zu mehr Engagement zwingen.
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) will die grün-schwarze Landesregierung mit einer Klage zu größeren Anstrengungen beim Klimaschutz verpflichten. BW verfehle seine selbstgesteckten Klimaziele für 2030 klar, monierte Jürgen Resch, Bundesgeschäftsführer der Umwelthilfe, gegenüber dem SWR. Für diesen Fall sehe das Klimaschutzgesetz in BW ein Sofortprogramm vor, doch die Regierung von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) habe bisher keines auf den Weg gebracht. Die wichtigsten Punkte hier im Überblick:
- Sofortprogramm für Klimaschutz unwahrscheinlich
- Klage dürfte Rückenwind für Umweltministerin Walker sein
- Umweltverband fordert Tempo 30 innerorts
- Hehres Ziel in BW: Klimaschutzland Nummer eins
- Verkehr, Gebäude, Energie und Landwirtschaft sind Sorgenkinder
- Was ist eine "erhebliche Zielverfehlung"?
- Umwelthilfe schon mal erfolgreich mit Klimaklage gegen BW
- Schleppender Umstieg auf E-Autos und Bahn
- Fridays for Future appelliert an Kretschmann und Co.
Sofortprogramm für Klimaschutz unwahrscheinlich
"Wir setzen Ministerpräsident Kretschmann eine letzte Frist von zehn Tagen, ein Klimaschutz-Sofortprogramm zu beschließen. Andernfalls werden wir erneut die Landesregierung mit einer Klimaklage dazu zwingen", sagte Resch. Schon 2022 war die Umwelthilfe mit einer ähnlichen Klage vor dem Verwaltungsgerichtshof BW erfolgreich gewesen.
Dass Grün-Schwarz bis zum 8. Juni noch ein Sofortpaket liefern kann, gilt als unwahrscheinlich. Denn Grüne und CDU streiten sich seit acht Monaten über das weitere Vorgehen beim Klimaschutz. Die CDU-Seite zweifelt an, dass BW tatsächlich auf eine "erhebliche Zielverfehlung" zusteuert, die ein solches Sofortprogramm auslösen würde. Es liege größtenteils auch nicht in der Hand der Landesministerien, den CO2-Ausstoß in bestimmten Sektoren zu verringern, sondern beim Bund oder der EU. Zudem verweist die CDU darauf, dass es vor allem der Bereich von Verkehrsminister Winfried Hermann (Grüne) sei, der mit Abstand die meisten Treibhausgase freisetze.
Klage dürfte Rückenwind für Umweltministerin Walker sein
Es gibt aber noch einen anderen Grund, warum die Koalition kein großes Sofortpaket für den Klimaschutz mehr beschließen will. Der Etat für die Jahre 2025/2026 ist schon beschlossen und somit sei kein zusätzliches Geld für Sofortmaßnahmen mehr da, heißt es bei Grünen und CDU. Dennoch dürfte eine Klage Rückenwind für Umweltministerin Thekla Walker (Grüne) sein, die seit Monaten versucht, die Regierung für zusätzliche Klimaschutzmaßnahmen zu gewinnen.
Auf grüner Seite hofft man jetzt auch auf das Geld aus dem Sondervermögen des Bundes, aus dem 100 Milliarden Euro in den Klima- und Transformationsfonds fließen sollen. Und: Mit der Klage könnte aus Sicht der Grünen der Druck auf die CDU steigen, sich neun Monate vor der Landtagswahl wieder verstärkt zum Klimaschutz zu bekennen.
Umweltverband fordert Tempo 30 innerorts
Die Umwelthilfe monierte, dass im Verkehrssektor eine "drastische Zielverfehlung" im Jahr 2030 zu erwarten sei. Resch forderte die Landesregierung deshalb zum harten Gegensteuern auf. Nötig sei "Tempo 100 auf allen Autobahnabschnitten und Tempo 80 auf allen Bundes- und Landstraßen als landesweiten Modellversuch sowie Tempo 30 innerorts".
Außerdem hält der Verband den Erhalt des Kopfbahnhofs in Stuttgart - zusätzlich zur Inbetriebnahme von S21 - für notwendig, um eine langjährige oder dauerhafte Unterbrechung aller Bahnverkehre von Stuttgart über die Gäubahn nach Singen, Zürich und Mailand zu verhindern. Darüber hinaus fordert die Umwelthilfe mehr Geld für die energetische Sanierung von Schulen und Kindergärten.
Hehres Ziel in BW: Klimaschutzland Nummer eins
Die grün-schwarze Koalition hatte sich im Koalitionsvertrag von 2021 vorgenommen, BW zum Klimaschutzland Nummer eins zu machen. Demnach soll das Land bis zum Jahr 2040 netto-klimaneutral sein, fünf Jahre schneller als der Bund und zehn Jahre früher als die EU. Das Zwischenziel in BW heißt: In fünf Jahren sollen die Treibhausgase um mindestens 65 Prozent gegenüber 1990 reduziert werden.
Verkehr, Gebäude, Energie und Landwirtschaft sind Sorgenkinder
Doch schon im Sommer 2024 hieß es im Klimaschutz- und Projektionsbericht führender Forschungsinstitute, bis 2030 werde nur ein Minus von 53 Prozent erzielt. Vor allem in den Sektoren Verkehr, Gebäude, Energie und Landwirtschaft gehe es nicht schnell genug voran. "Die angestrebte Netto-Treibhausgasneutralität wird somit mit den aktuellen Instrumenten nicht erreicht", schreiben die Wissenschaftler in der Studie für das BW-Umweltministerium.
Was ist eine "erhebliche Zielverfehlung"?
Ende September erklärte dann der Klima-Sachverständigenrat, eingesetzt von der Landesregierung, er sähe "hierdurch eindeutig den Tatbestand der drohenden erheblichen Zielverfehlung" erfüllt. Eigentlich sollte diese Formulierung das Signal an die Landesregierung sein, weitere Maßnahmen zu ergreifen und das Klimamaßnahmenregister zu erweitern.
Denn im Klimaschutzgesetz steht: "Stellt der Klimaschutz- und Projektionsbericht eine drohende erhebliche Zielabweichung fest, beschließt die Landesregierung möglichst innerhalb von vier Monaten nach der Beschlussfassung über den Bericht die erforderlichen Landesmaßnahmen." Doch was eine "erhebliche Zielverfehlung" ist, ist im Klimaschutzgesetz BW nicht definiert.
Rechtanswalt Remo Klinger, der die DUH vertritt, hält das Einhalten der Klimaschutzmaßnahmen zum Schutz zukünftiger Generationen für notwendig.
Es ist für den Klimaschutz und auch aus rechtsstaatlicher Perspektive zwingend notwendig, dass die gesetzlichen Regeln, die für den Klimaschutz gelten, eingehalten werden. Rechtanswalt Remo Klinger, Vertreter der Deutschen Umwelthilfe (DUH)
Umwelthilfe schon mal erfolgreich mit Klimaklage gegen BW
Die Umwelthilfe war schon einmal erfolgreich mit einer Klimaklage gegen das Land Baden-Württemberg. Im November 2022 monierte der Verwaltungsgerichtshof einen Verstoß gegen das Klimaschutzgesetz. Der VGH verurteilte das Land dazu, das im Gesetz vorgesehene integrierte Energie- und Klimaschutzkonzept zu beschließen. Die neue grün-schwarze Regierung erklärte jedoch, das integrierte Energie- und Klimaschutzkonzept durch ein neues Klima-Maßnahmen-Register ersetzen zu wollen, das öffentlich einsehbar sei.
Schleppender Umstieg auf E-Autos und Bahn
Hauptgrund für das Verpassen der Klimaziele ist der Verkehrssektor, der in BW für knapp ein Drittel der Treibhausgase verantwortlich ist. Im Autoland wird laut Projektionsbericht die angestrebte Senkung des CO2-Ausstoßes im Verkehrssektor von 55 Prozent bis 2030 im Vergleich zu 1990 bei weitem verfehlt. Demnach sinken die Werte nur um 32 Prozent. Von der sogenannten Netto-Null beim CO2-Ausstoß im Jahr 2040 ist Baden-Württemberg im Sektor Verkehr ebenfalls deutlich entfernt. Die Expertinnen und Experten erwarten bis dahin ein Minus von 67 Prozent im Vergleich zu 1990, was viel zu wenig wäre.
Auch das Ziel der Landesregierung, dass bis 2030 die Hälfte der Autos auf Straßen in BW klimaneutral sein sollen, ist in weiter Ferne. Zum 1. Oktober 2024 lag der Anteil von E-Autos am Pkw-Bestand in BW bei gerade mal 3,7 Prozent. Das sind 258.000 von fast sieben Millionen Pkw, heißt es im E-Mobil BW Datencenter. Zudem stiegen laut Experten zu wenig Menschen vom Auto auf die Bahn um, weil diese angesichts des Sanierungsstaus nicht attraktiv genug sei.
Fridays for Future appelliert an Kretschmann und Co.
Die Umweltorganisation Fridays for Future BW hatte schon im April Kretschmann aufgefordert, schnell weitere Klimaschutzmaßnahmen einzuleiten. "Millionen junger Menschen in Baden-Württemberg haben das Recht darauf, von ihrer Landesregierung vor der eskalierenden Klimakrise geschützt zu werden. Wenn die Landesregierung weiter untätig bleibt, verspielt sie nicht nur ihre Glaubwürdigkeit, sondern gefährdet das Leben kommender Generationen", erklärte Paula Kanzleiter für Fridays for Future.
Sendung am Fr., 30.5.2025 6:30 Uhr, SWR1 BW Nachrichten - SWR1 Baden-Württemberg