Abgeordnete sitzen bei einer Landtagssitzung in Stuttgart.

Baden-Württemberg Anzug statt Blaumann: "Im BW-Landtag sitzen fast nur noch Akademiker"

Stand: 17.05.2025 06:53 Uhr

Erst Abi, dann Studium und vielleicht noch einen Doktortitel: Akademiker dominieren den baden-württembergischen Landtag. Abgeordnete, die "nur" eine Ausbildung haben, sind rar. Was das für die Politik bedeutet.

Von Paula Zeiler

Im Landtag von Baden-Württemberg haben über 80 Prozent der Abgeordneten eine Hochschule oder eine Uni besucht. Davon haben 15 Prozent sogar noch eins drauf gesetzt und einen Doktortitel. Das entspricht aber so gar nicht der gesellschaftlichen Realität im Land. Denn laut Zensus haben die meisten Menschen eine Ausbildung gemacht und arbeiten in Betrieben.

Der Freiburger Politikwissenschaftler Uwe Wagschal kritisiert, dass so viele Akademikerinnen und Akademiker im Landtag sitzen. Das sei genau das Gegenteil von Diversitiät. Was mit der Politik passiert, wenn Abgeordnete mit Ausbildung in der Minderheit sind und wie man das ändern könnte.

Im Landtag von Baden-Württemberg sitzen vor allem Menschen die studiert haben

Ohne Abitur und Studium in die Berufspolitik? Ingo Bauer (CDU) will's probieren.

Busfahrer aus Bonndorf im Schwarzwald will in den Landtag

Ingo Bauer (CDU) will 2026 als Abgeordneter in den Landtag einziehen. Seine Biografie ist aber ganz anders als die eines durchschnittlichen Berufspolitikers. Denn er ist gelernter Kfz-Mechaniker, fährt als Busfahrer durch halb Europa und lebt in einem Ort im Schwarzwald (Landkreis Waldshut) mit 7.000 Einwohnerinnen und Einwohnern. Bei seiner Arbeit erfährt Ingo Bauer, wo der Schuh bei den Menschen drückt.

Als Busfahrer haben wir immer ein offenes Ohr für die Sorgen und Nöte unserer Fahrgäste. Ingo Bauer (CDU), Bonndorf im Schwarzwald

Seinen Fahrerplatz würde er auch gegen einen Sitz im neuen Landtag eintauschen. Seine Kandidatur für den Wahlkreis Freiburg I - der sich vom Freiburger Osten bis nach Bonndorf im Schwarzwald zieht - steht auf jeden Fall fest. Dafür bringe er auch wirtschaftliches Knowhow als selbstständiger Busunternehmer mit. Seit 20 Jahren engagiert er sich zudem in der Kommunalpolitik und hat gelernt, Dinge unkompliziert zu lösen. Er sieht sich selbst als jemand von der "Basis".

Kaum Abgeordnete ohne Studium in CDU, SPD und bei Grünen

Dass Ingo Bauer kein Abitur oder Studium hat, ist eher selten unter Berufspolitikern. So haben im aktuellen Landtag von Baden-Württemberg rund 75 Prozent Abitur - rund 83 Prozent haben studiert und 18 Prozent sogar einen Doktortitel, wie eine SWR-Recherche zeigt. Nur 16 Prozent der insgesamt 154 Abgeordneten haben angegeben, dass sie ausschließlich eine Ausbildung gemacht haben - so wie Ingo Bauer.

Unter denjenigen, die studiert haben, sind aber auch Abgeordnete wie Jonas Hoffmann (SPD) aus Lörrach, der nach seiner Ausbildung zum Fachinformatiker noch studiert hat - ohne Fachhochschulreife oder Abitur. Auch Rudi Fischer aus dem Wahlkreis Hechingen-Münsingen (FDP/DVP), Martina Häusler (Grüne) aus Schwäbisch Gmünd oder Anton Baron (AfD) aus dem Wahlkreis Hohenlohe haben nach ihrer Ausbildung ein Studium drangehangen.

Die meisten Akademikerinnen und Akademiker sitzen für die Grünen und die CDU im aktuellen Landtag von Baden-Württemberg, wie die Recherche zeigt. Der Anteil derjenigen ohne Studium liegt bei unter zehn Prozent. Auch bei der SPD sind es nur 16 Prozent. Die AfD sticht hingegen hervor - in ihrer Fraktion halten sich Akademiker und Nicht-Akademiker die Waage.

Politikwissenschaftler: Akademiker machen Politik für Akademiker

Wenn viele Akademiker im Parlament sitzen, dann verschieben sich auch die Themen in der Politik, sagt Uwe Wagschal. Er ist Politikwissenschaftler an der Universität Freiburg und forscht unter anderem zu Wahlen und direkter Demokratie. Akademikerinnen und Akademiker würden sich eher für Themen wie Natur, Umweltschutz oder Kultur interessieren.

"Die sozialen Probleme, die etwa Menschen mit viel weniger Einkommen haben - wie Wohnungsnot und Wohnungssuche - die fallen dann völlig hinten runter", so Wagschal. Dazu gehören auch eher Verkehr und Infrastruktur. Die Abgeordneten mit Studium würden in ihren "akademischen Zirkeln" und bei ihren akademischen Themen bleiben.

Im Landtag von Baden-Württemberg sitzen vor allem Menschen die studiert haben

Uwe Wagschal forscht an der Uni Freiburg zu Wahlen und Demokratie.

Mehr Wählerstimmen für Kandidaten mit akademischem Titel

Auch wenn Menschen mit Studium nicht unbedingt Politik für Menschen ohne Studium machen, haben sie in Deutschland trotzdem bessere Wahlergebnisse, ordnet Uwe Wagschal ein: "Es zeigt sich, dass in Wahlen ein akademischer Titel eine positive Wirkung haben kann." Ein Doktortitel bringe noch etwas mehr Prozentpunkte als kein Doktortitel.

Uwe Wagschal hat aber auch den Eindruck, dass Arbeiterbiografien, wie die der neuen Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD), gut ankommen. So machte Bas nach der Hauptschule eine Ausbildung zur Bürogehilfin und arbeitete sich bis zur Leitung einer Personalabteilung hoch.

Politikwissenschaftler fordert mehr gesellschaftliche Realität

Der geringe Anteil von Akademikerinnen und Akademikern im Landtag von Baden-Württemberg spiegele nicht die gesellschaftliche Realität wider, kritisiert Wagschal und sagt: "Ich verstehe die Parteien nicht, dass sie nicht darauf achten, dass die gesellschaftliche Vielfalt - wie Migration, Beschäftigungsverhältnis - sich in den Listen wiedergespiegelt."

Denn Parteien können mithilfe ihrer Liste beeinflussen, wer ins Parlament kommt. Umso weiter oben ein Kandidat auf der Liste steht, desto größer sind seine Chancen, ein Mandat zu erhalten, insbesondere wenn die Partei viele Zeitstimmen bekommt. Mit dem neuen Wahlrecht in Baden-Württemberg ist ein guter Listenplatz noch wichtiger geworden.

Ich verstehe die Parteien nicht, dass sie nicht darauf achten, dass die gesellschaftliche Vielfalt widerspiegelt wird. Uwe Wagschal, Professor für "Vergleichende Regierungslehrere", Freiburg

Früher gab es im Landtag von Baden-Württemberg übrigens keine Berufspolitiker. Mit den höheren parlamentarisches Einkommen habe sich das Parlament aber professionalisiert, sagt Wagschal. So ist der Anteil von Akademikern immer weiter gestiegen. Zum Vergleich: Im Landtag von 2016-2021 hatten noch 77 Prozent der Abgeordneten einen universitären Hintergrund. Im aktuellen sind es schon rund 83 Prozent. Uwe Wagschal vermutet, dass der Akademiker-Anteil im kommenden Landtag noch weiter steigen wird, selbst bei der AfD.

Noch sind die Parteien auf der Suche nach ihren Kandidatinnen und Kandidaten für die Landtagswahl am 8. März 2026. Die Posten der Spitzenkandidaten und Listenplätze sind - offiziell - noch offen.

Ingo Bauer CDU kandidiert für den Landtag 2026

Ingo Bauer (links) mit seinem Sohn Steffen, der das Busunternehmen übernehmen könnte.

Meine Leidenschaft - das Busfahren - werde ich garantiert nicht aufhören. Und weiterhin dabeibleiben. Ingo Bauer, Kandidat für die Landtagswahl 2026

Ingo Bauer (CDU) aus Bonndorf im Schwarzwald bleibt bodenständig und kandidiert für die kommende Wahl nur als Direktkandidat. Er habe abgelehnt auf der Landesliste der CDU zu stehen. Dadurch haben sich seine Chancen, in die Berufspolitik zu wechseln, auf jeden Fall verringert.

Sendung am Fr., 16.5.2025 19:30 Uhr, SWR Aktuell Baden-Württemberg, SWR BW

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