
Zu wenige Fachkräfte Reinhardt fordert Anreize für Ärzte im Ruhestand
Um den Mangel an Medizinern zu beheben, fordert Kammerpräsident Reinhardt, Ruheständlern den Wiedereinstieg in den Beruf zu erleichtern. Auch müsse die flächendeckende Versorgung mit Ärzten verbessert werden, sonst drohe der Notstand.
Ärztepräsident Klaus Reinhardt hat die Bundesregierung aufgerufen, Anreize für Ärzte zur Weiterarbeit im Rentenalter zu schaffen. Es gebe ein Potenzial von 20.000 zusätzlichen Vollzeitstellen, sagte Reinhardt dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).
Ärzten im Ruhestand den Wiedereinstieg in den Beruf zu erleichtern, sei laut Reinhardt "ein echter Gewinn für die Versorgung und ein entscheidender Schritt hin zu einer nachhaltigen Fachkräftestrategie im Gesundheitswesen".
Neben Steuererleichterungen forderte Reinhardt eine Befreiung der Einkommen von Sozialversicherungsbeiträgen sowie Entlastungen bei der Bürokratie. Das "wären starke Signale", betonte er, freiwilliges Engagement erfordere auch finanzielle Anerkennung.
Viele Mediziner wollen weiterarbeiten
Reinhardt bezog sich mit seinen Äußerungen auf eine nicht repräsentative Online-Umfrage im Auftrag der Bundesärztekammer und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, die von deren Publikation "Deutsches Ärzteblatt" durchgeführt wurde. Von den 5.000 befragten Medizinern gaben etwa drei Viertel an, sich eine Weiterarbeit bis zum 70. Lebensjahr oder länger vorstellen zu können, wie RND berichtete.
Rund 20 Prozent halten demnach eine Tätigkeit mindestens bis zum 75. Lebensjahr für denkbar. Aus der Umfrage geht dem Bericht zufolge aber auch hervor, dass die Befragten Bedingungen für eine Weiterarbeit stellen, wie etwa eine freie Zeiteinteilung, weniger Bürokratie sowie finanzielle Anreize. "Wer im Ruhestand weiterarbeitet, will sich nicht mit betriebswirtschaftlichen Fragen, Personalführung oder Bürokratie herumschlagen", sagte Reinhardt weiter.
Schon jetzt gibt es einen erheblichen Arbeitskräftemangel in der Medizin: Laut RND sind derzeit beispielsweise 5.000 Hausarztstellen unbesetzt. Nach Zahlen der Ärztestatistik 2024 haben demnach mehr als 100.000 berufstätige Ärzte und Ärztinnen das 60. Lebensjahr bereits erreicht und damit rund 23 Prozent der berufstätigen Ärzteschaft.
Steuern "auf Versorgungsnotstand zu"
Vor diesem Hintergrund warnt Reinhardt vor Beeinträchtigungen für Patienten. "Unser Gesundheitswesen steuert ungebremst auf einen Versorgungsnotstand zu, wenn wir nicht entschlossen gegensteuern", sagte er der Nachrichtenagentur dpa.
So müsse die Versorgung besser koordiniert werden: "Es sollte zum Normalfall werden, dass sich Patientinnen und Patienten bei einer Hausarztpraxis einschreiben, die dann die Koordinierung der Weiterbehandlung übernimmt."
Fast zehn Kontakte zu Ärzten pro Kopf im Jahr
Reinhardt erläuterte, in Deutschland würden Patienten systembedingt mit der Organisation und Koordination ihrer Versorgung weitgehend allein gelassen. "Besonders betroffen sind die Schwächsten: ältere Menschen, chronisch Kranke, Menschen mit geringerer Gesundheitskompetenz."
Deutschland habe mit 9,6 Arztkontakten pro Kopf im Jahr eine der höchsten Raten weltweit. In bestimmten Regionen habe jeder Zweite im Schnitt zwei Hausärzte. "Diese Entwicklung ist nicht nur ineffizient, sie ist angesichts von Personalengpässen und begrenzten finanziellen Mitteln schlicht nicht mehr tragbar", sagte der Ärztepräsident.
In diesem Zusammenhang wiesen im Koalitionsvertrag skizzierte Maßnahmen in die richtige Richtung. Union und SPD wollen wieder einführen, dass Patienten primär in eine Hausarztpraxis gehen, die sie - mit Termin in einem bestimmten Zeitraum - bei Bedarf zu Fachärzten überweist.
Patientenschützer: Versorgungsnotstand ist hausgemacht
Die Deutsche Stiftung Patientenschutz jedoch findet diese Vorstellung voreilig. "Während Bundesärztekammer und Bundesregierung schnell bei der Hand sind, eine Patientensteuerung zu fordern, verlieren sie kein Wort über vertraglich zugesicherte wöchentlich 25 Stunden Präsenzzeiten für Kassenpatienten", sagte Stiftungsvorstand Eugen Brysch der dpa. Auch die telefonische Erreichbarkeit werde nicht überprüft.
Brysch wies vor eine Überversorgung in Ballungsräume sowie einen Mangel an medizinischen Angeboten im ländlichen Raum hin, wo 60 Prozent der Bevölkerung wohnen. "Der Versorgungsnotstand ist also hausgemacht", so Brysch.