Ein Soldat hält in einer Waffenkammer ein G36-Sturmgewehr von Heckler und Koch.

Friedensgutachten Gegen Corona kämpfen statt Waffen kaufen

Stand: 08.06.2021 14:25 Uhr

Um die Corona-Pandemie zu bewältigen, fordern Friedensforscher eine weltweite Senkung der Militärausgaben. Außerdem solle sich die EU stärker in Konflikten engagieren, heißt es in dem Friedensgutachten.

Von Kai Küstner, ARD Berlin

Eine Pandemie lässt sich militärisch nicht besiegen - so lautet in Kurzform die Botschaft der Friedensforscher. Die Forscher fordern konkret, Geld umzuschichten: Man solle es aus den Rüstungshaushalten herausnehmen und in einen Corona-Krisen-Bewältigungsfonds einspeisen.

"Corona-Friedensdividende"

Schließlich seien die Militärausgaben auch während der Pandemie weltweit weiter kräftig gestiegen. "Darum ist es genau jetzt notwendig, eine Corona-Friedensdividende zu schaffen", fordert Nicole Deitelhoff, Leiterin des Leibniz-​Instituts Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK). Ihr schwebt vor, dass die Vereinten Nationen, die G7 und G20-Staaten eine gemeinsame Anstrengung zur Begrenzung der Rüstungsausgaben weltweit starten. Damit die freiwerdenden Gelder in einen Wiederaufbaufonds der UN fließen können.

Der NATO empfehlen Deitelhoff und ihre Wissenschaftskollegen für die nächsten Jahre außerdem ein Einfrieren ihres Zwei-Prozent-Ziels bei den Rüstungsausgaben. "Letztlich gilt: Jeder verhinderte Gewaltkonflikt ist günstiger als alle Rüstungsausgaben - um ihn zu gewinnen oder dessen Auswirkungen zu bewältigen."

Gerechtere Verteilung von Impfstoff

Denn, so lautet die Warnung der Wissenschaft, die Corona-Pandemie könne dazu führen, dass sich bestehende Konflikte weltweit verschärfen. Insofern täten die Länder auf der Nordhalbkugel auch gut daran, für eine gerechtere Verteilung von Corona-Impfstoff zu sorgen. "Aus nationalen Egoismen heraus nur die eigene Bevölkerung zu schützen, wird definitiv zum Bumerang werden. Denn es wird weitere Krisen heraufbeschwören, die uns global weit länger beschäftigen werden, als Covid19 das bereits tut", prophezeit Deitelhoff. Aus ihrer Sicht ist die bisherige Impfstoffverteilung schlicht "skandalös" zu nennen.

EU zu oft "weltpolitischer Zaungast"

Insbesondere die Europäische Union würden die vier Forschungsinstitute in ihrem diesjährigen "Friedensgutachten" gern stärker in die Pflicht nehmen. Und zwar sowohl bei der Corona-Folgen-Abfederung als auch überhaupt bei der Eindämmung von Krisen und Konflikten weltweit. Viel zu oft würde die EU derzeit noch als "weltpolitischer Zaungast" abseits stehen, statt als Ordnungsmacht einzugreifen.

Wobei die Friedensforscher klarstellen, dass sie hier eher ein ziviles denn ein militärisches Engagement im Sinn haben. Aus Sicht vieler Europapolitiker jedoch wird die EU nötigen Druck nie entfalten können, wenn sie sich nicht auch militärisch auf feste und eigene Beine stellt. Politikwissenschaftlerin Deitelhoff aber stellt auf Nachfrage des ARD-Hauptstadtstudios klar: "Man braucht keine europäische Armee, um eine Weltmacht sein zu können."

Sonderbeauftragter für Ukraine

Als einen der gefährlichsten Konflikte sehen die Friedensforscher den in der Ostukraine. Konkret empfehlen sie der EU, einen Sonderbeauftragten zu berufen, um das politische Gewicht Europas in Verhandlungen zu stärken. Waffenlieferungen in die Ukraine hingegen würden die diplomatische Rolle Deutschlands zunächst erschweren. Grünen-Parteichef Robert Habeck hatte unlängst dafür geworben, die Ukraine im Konflikt mit den russischen Separatisten mit Defensivwaffen zu helfen.

"Joker" Nord Stream 2

Gleichzeitig rücken die Forschungsinstitute die umstrittene Nord Stream 2-Pipeline ins Blickfeld: Wenn Russland sich weiter so konfrontativ zeigt, sollten Deutschland und Europa darüber nachdenken, diesen "Joker" zu spielen - und ein Aussetzen des Weiterbaus in Betracht ziehen. Dies allerdings gilt derzeit als unrealistisch: Die Bundesregierung hatte die Pipeline trotz erheblichen Widerstands vieler europäischer Partner und der USA und trotz des russischen Verhaltens im Fall Nawalny nie ernsthaft in Frage gestellt.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Inforadio am 08. Juni 2021 um 12:10 Uhr.