
Queerfeindlichkeit Wie Rechtsextreme den Pride Month umdeuten wollen
Der Juni wird seit Jahrzehnten als Pride Month ausgerufen, um für die Rechte und Sichtbarkeit von queeren Menschen einzustehen. Doch in rechtsextremen Kreisen hat sich eine Gegenbewegung etabliert - mit ernsthaften Folgen.
"Stolzmonat 2025 - Auftakt: Party am Schloss Stolzenfels" - Diesen Aufruf zu einer Veranstaltung am 31. Mai am Schloss Stolzenfels in Koblenz postete der AfD-Landtagsabgeordnete Joachim Paul in den sozialen Netzwerken. Dazu schreibt er: "Ich werde dabei sein - kommt mit und lasst uns gemeinsam in den Stolzmonat starten!" In einem Ankündigungsvideo für die Veranstaltung ist eine Frau zu sehen, die am Ende demonstrativ einen bunten Aufkleber mit den Worten "Rassismus ist keine Alternative" mutmaßlich von einem Straßenschild entfernt.
Den "Stolzmonat" gibt es seit dem Jahr 2023. Dabei handelt es sich laut des Bundesamts für Verfassungsschutz um eine "durch verschiedene Akteure aufgegriffene und sich verselbstständigende 'patriotische' Gegenbewegung zum Pride Month". Und weiter: "Unter dem Deckmantel des 'Stolzmonats' wurde in der Folge von der rechtsextremistischen Szene mit Aktionen sowohl im digitalen als auch realweltlichen Raum gegen die LGBTQ+- Community gehetzt. Der 'Stolzmonat' fungierte darüber hinaus als themenbezogen verbindendes Element der rechtsextremistischen Szene."
Anders als im Netz propagiert, handelt es sich beim "Stolzmonat" nicht bloß um eine patriotische Aktion. Der Name sei eine direkte Anlehnung an den Pride Month, sagt Joe Düker, Junior Researcher beim Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS). "Da derselbe Monat gewählt wurde und stolz eine direkte Übersetzung von Pride ist, kann man sehr eindeutig eine unmittelbare Verbindung herstellen." Auch das Symbol des "Stolzmonats" sei an die Regenbogenflagge der queeren Community angelehnt.
"Wesentlicher Bestandteil des Rechtsextremismus"
An dem "Stolzmonat" beteiligen sich vor allem Akteure der sogenannten Neuen Rechten, aber auch aus dem rechtslibertären und rechtskonservativen Spektrum, so Düker. "Sie wollen zum einen ihre Queerfeindlichkeit zum Ausdruck bringen und zum anderen das rechtsextreme Verständnis gegenüber der LGBTQIA+-Community in die Gesellschaft tragen, um es zu normalisieren." Einer Analyse des CeMAS zufolge spielte die inzwischen aufgelöste Junge Alternative, die Jugendorganisation der AfD, zusammen mit einigen AfD-Politiker eine führende Rolle bei der Verbreitung der "Stolzmonat"-Kampagne in den sozialen Netzwerken.
Queerfeindlichkeit sei ein wesentlicher Bestandteil des Rechtsextremismus. Die wachsende Popularität rechtsextremer Organisationen ermögliche die Verbreitung ihrer Ideologie, einschließlich der Feindseligkeit gegenüber der LGBTQI+-Gemeinschaft, heißt es in der CeMAS-Analyse. In den sozialen Netzwerken kommt es regelmäßig zu bewusst verbreiteten Falschbehauptungen über queere Menschen.
"Rechtsextremisten haben schon immer queere Menschen pathologisiert und versucht, sie zu kriminalisieren und sie zu verunglimpfen", sagt Düker. Über den Kampfbegriff der sogenannten Frühsexualisierung werde versucht, queere Menschen als eine Gefahr vor allen Dingen für Kinder, aber auch für die Gesellschaft im Allgemeinen, darzustellen.
Und das hat Konsequenzen: Denn die Zahl der queerfeindlichen Straftaten wächst nach Angaben des Bundeskriminalamts stetig. Im Jahr 2023 wurden insgesamt 1.785 Straften dokumentiert - ein Anstieg von etwa 50 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. In allen Deliktsbereichen stieg demnach die Zahl der queerfeindlichen Hasskriminalität, von Beleidigungen bis hin zu Gewalttaten.
Rechtsextreme Anti-CSD-Proteste in 27 Städten
Auch Kai Bölle, Vorstandsmitglied beim Verein CSD Deutschland, sieht eine Zunahme an Bedrohungen und Angriffen gegenüber CSD-Veranstaltungen - sowohl in der Quantität als auch in der Qualität. "Dass es am Rande einer CSD-Veranstaltung mal zu einzelnen Störungen kam, war schon früher so. Was wir jetzt sehen, ist jedoch eine organisierte Vorgehensweise. Verschiedenste Gruppen mobilisieren für dieselben CSDs und werden auch gewalttätig." Vor allem im Juni sei die Bedrohungslage massiv - auch wegen Aktionen wie dem Stolzmonat.
Das CeMAS hat allein im vergangenen Jahr rechtsextreme Anti-CSD-Proteste in 27 deutschen Städten identifiziert, die sich gegen CSD-Veranstaltungen richteten. "Dabei handelte es sich häufig um größere, aggressive Gruppen von Neonazis, wobei mehrere neue rechtsextreme Jugendgruppen vor allem durch ihre Teilnahme an den Anti-CSD-Demonstrationen an Bekanntheit und Anhänger:innen gewinnen konnten", heißt es in der Analyse. Das Bundesinnenministerium schrieb vergangenes Jahr von einer vermehrt realweltlichen und physisch-gewaltorientierten Fokussierung, zum Beispiel im Rahmen von Veranstaltungen wie dem CSD.
Eine wichtige Rolle spielen laut Düker auch die sozialen Netzwerke. So habe Elon Musk beispielsweise auf seiner Plattform X dafür gesorgt, dass rechtsextreme Inhalte weniger Gegenrede oder Sperrungen zur Folge haben. "Moderation von solchen Inhalten kann dafür sorgen, dass sich solche Hetzkampagnen nicht ausbreiten." Doch genau das geschehe immer seltener. Auch bei anderen Plattformen wie Instagram oder TikTok seien queerfeindliche Inhalte oft sehr lange offen sichtbar. "Die Plattformen sind in der Verantwortung, dafür zu sorgen, dass solche Inhalte nicht ein breites Publikum erreichen."
Lage in Kleinstädten und auf dem Land immer bedrohlicher
Vor allem in Kleinstädten und auf dem Land werde die Lage immer bedrohlicher, so Bölle. "Wir vermuten, dass sie sich gezielt kleine CSD-Veranstaltungen aussuchen, um dort eine möglichst große Wirkung zu erzielen." Bei Veranstaltungen mit Tausenden Teilnehmenden wie in München, Berlin oder Hamburg würden die Gegendemonstranten untergehen. Bei kleineren CSD-Demonstrationen wären Gruppen mit mehreren Hundert Leuten hingegen deutlich auffälliger. So standen beim CSD vergangenes Jahr in Bautzen den mehr als 1.000 CSD-Teilnehmenden knapp 700 Rechtsextremisten gegenüber. Die Veranstalter hatten die Aftershowparty daher aus Sicherheitsgründen abgesagt.
Die Bedrohungslage sorge auch dafür, dass zum Beispiel die Organisatorinnen und Organisatoren des CSD in Köthen vergangenes Jahr ihre Treffen unter Polizeischutz abhalten mussten, sagt Bölle. "Die Menschen, die sich für den CSD engagieren, werden durch solche Aktionen gezielt eingeschüchtert." Hinzu komme, dass auch deutlich mehr Polizei nötig sei, um die CSD-Veranstaltungen vor den Gegendemonstranten zu schützen. "Ob Ost- oder Westdeutschland spielt dabei keine Rolle", so Bölle. "Überall, wo die AfD stark ist, sind die Gegenproteste besonders groß."
Dass sich die Rechtsextremen dabei so auf den CSD eingeschossen haben, hat laut Bölle vor allem damit etwas zu tun, dass die Veranstaltungen der komplette Gegenentwurf zum rechtsextremen Weltbild sind. "Wir stehen für friedliches Miteinander, für Toleranz und Akzeptanz. Das heißt, wir stehen erst mal für alles, was die Rechtsextremen ablehnen."
"Wir brauchen sichtbare Unterstützung"
Die Entwicklung sei auch eine Gefahr für die liberale Demokratie, sagt Düker. "Der Schutz von Minderheiten ist ein fester Bestandteil einer liberalen Demokratie. Rechtsextreme Akteure versuchen, dafür zu sorgen, dass sich Minderheiten nicht mehr sicher fühlen können." Für eine pluralistische Gesellschaft sei es jedoch wichtig, dass sich auch Mitglieder von Minderheiten wohlfühlen und uneingeschränkt an der Gesellschaft teilnehmen können.
Bölle appelliert daher an die Zivilgesellschaft, an den CSD-Veranstaltungen teilzunehmen und damit auch ein Zeichen gegen die Gegendemonstranten zu setzen. "Wir brauchen diese sichtbare Unterstützung. Dass Menschen dazukommen und sich der Gewalt entgegenstehen."
In Stolzenfels stieß die Ankündigung für die "Stolzmonat"-Veranstaltung auf Widerstand. Mehrere Initiativen haben sich unter dem Motto "Stolzenfels bleibt bunt" zusammengeschlossen und zu einer Gegendemonstration zur geplanten Veranstaltung aufgerufen.