
Nach Gletscherabbruch in der Schweiz Aufgestaute Wassermassen fließen langsam ab
Vollständige Entwarnung gibt es weiter nicht - doch nach dem Gletscherabbruch in der Schweiz hat sich die Lage noch einmal entspannt. Am gefährlich aufgestauten See konnte Wasser abfließen, der Pegelstand sank.
Nach dem Gletscherabbruch in der Schweiz laufen die aufgestauten Wassermassen langsam ab. Der Pegelstand des Stausees, der sich am Gebirgsfluss Lonza gebildet hat, sei seit gestern um etwa einen Meter gesunken, sagte der Kantonsgeologe Raphaël Mayoraz bei einer Pressekonferenz. Die Wassermenge im See habe nach Schätzungen zuvor rund eine Million Kubikmeter Wasser betragen und liege nun bei etwa 800.000 Kubikmetern.
"Die Situation ist ein bisschen besser als gestern", so Mayoraz. Das Wasser laufe über den Schuttkegel, der das Flussbett der Lonza blockiert, nur langsam ab - aber das sei gut so: Damit sinke das Risiko, dass sich der Schuttkegel verflüssigt und viel Material weiter ins Tal rutscht.
Den Behörden zufolge wurde über Nacht auch der Grundablass etwas geöffnet, sodass nun kontrolliert Wasser ablaufen kann. Mehr Wasser könne man hier nicht ablassen, weil damit das Risiko für eine Erosion im weiteren Verlauf steige, sagte Mayoraz. Bereits gestern hatte die Entdeckung, dass aufgetautes Wasser durch den Schuttkegel sickert, Erleichterung ausgelöst. Je mehr Wasser auf diese Weise abfließen kann, desto geringer wird die Gefahr eines plötzlichen großen Wasseraustritts eingeschätzt.
Gefahr für unten gelegene Dörfer "sehr klein"
Laut Mayoraz wurde für die weiter unten gelegenen Dörfer ein Sicherheitsgürtel eingerichtet. Ziel sei es, den Pegelstand des Sees möglichst niedrig zu halten. Sobald er zu zwei Dritteln gefüllt sei, würde jedoch ein Alarmsystem greifen, dann gebe es noch genug Zeit für Evakuierungen. Dies werde aber nur im Fall eines Extremszenarios geschehen.
Die Menschen in den betroffenen Dörfern hatten schon vor Tagen das Nötigste gepackt, damit sie kurzfristig die Häuser verlassen können. Alarmiert würden sie über eine Warn-App und Sirenen. Das Risiko sei aber schon zuvor nicht hoch gewesen und sei nun noch einmal etwas gesunken, sage Mayoraz. Die Gefahr sei sehr klein und werde noch niedriger werden, wenn alles gut gehe.
Auch mit Blick auf das Wetter wird das Risiko derzeit als überschaubar eingeschätzt. Zwar ist in den kommenden Tagen Regen vorhergesagt, dazu kommt die Eisschmelze auf den umliegenden Bergen. Den Angaben zufolge sind die Ingenieure aber bisher zuversichtlich, dass dies keine katastrophalen Auswirkungen hat.

Die Gemeinden Gampel und Steg liegen unterhalb von Blatten.
"Der Kegel ist sehr instabil"
Weiter hoch ist das Risiko hingegen direkt im Gefahrengebiet, wo ein gigantischer Schuttkegel das Dorf Blatten unter sich begraben hatte. "Der Kegel ist sehr instabil, es wäre ein großes Risiko, darauf zu gehen", sagte Mayoraz.
Ein Drittel der neun Millionen Kubikmeter, die nach dem Gletscherabbruch im Tal zu liegen kamen, dürfte Eis sein, glauben die Experten. Ob und wann es schmilzt, weiß niemand. Ob sich im Schuttkegel dann Hohlräume bilden und der Kegel einbricht, ist ebenfalls unklar.

Versunken in Wasser, Schlamm und Geröll: Der Ort Blatten ist nahezu komplett zerstört.
An den Abbruchstellen befindet sich auch immer noch loses Material. "Das Kleine Nesthorn hat noch nicht seine Mitte gefunden", sagte der Gemeindepräsident von Blatten, Matthias Bellwald. "Der Berg erodiert weiter." Weil das Gelände so steil ist, können Abbrüche zu weiteren Gerölllawinen führen.
Unterdessen laufen die Vorbereitungen für einen Neuaufbau Blattens an. Am 12. Juni solle das "Neue Blatten" mit einem Plan und einer Roadmap vorgestellt werden, sagte Bellwald. Anschließend werde eine Arbeitsgruppe offiziell ihre Tätigkeit aufnehmen können. In der Zwischenzeit werde man die Einwohnerinnen und Einwohner bei der Wohnungssuche unterstützen und ihnen dank Spendengeldern auch finanziell zur Seite stehen.

Die Animation zeigt, wo das Wasser der Lonza fließt.
Blatten nahezu vollständig zerstört
Das Katastrophengebiet liegt im oberen Lötschental auf rund 1.500 Metern. Oberhalb des Dorfes, am gut 3.300 Meter hohen Kleinen Nesthorn, ist seit Wochen instabiler Fels abgebrochen. Weil immer mehr Felsbrocken und Geröll 500 Meter runter auf den Birschgletscher donnerten, brach dieser am Mittwochnachmittag ab und stürzte samt Geröll und Steinen ins Tal.
Das Dorf Blatten ist fast völlig unter meterhohem Schutt verschwunden. Die meisten der wenigen Häuser, die verschont blieben, sind durch das aufgestaute Wasser der Lonza überflutet. Die rund 300 Einwohner waren vergangene Woche in Sicherheit gebracht worden. Ein Einheimischer, der sich am Mittwoch im Katastrophengebiet aufhielt, wird noch vermisst.