Zelte stehen in einem Flüchtlingscamp in Tunesien.

Umgang mit Migranten im Maghreb Willkürlich in die Wüste abgeschoben

Stand: 12.06.2025 19:21 Uhr

Seit dem Abkommen mit der EU hat sich die Lage von Migranten in Tunesien massiv verschlechtert. Das hat auch Auswirkungen auf das Nachbarland Algerien. Hilfsorganisation berichten von massenhaften Abschiebungen in die Wüste.

Von Anne Baier, ARD-Studio Rabat

Ende April melden die Nachrichtenagenturen: Bei einem Bootsunglück vor der Küste Tunesiens sind mindestens acht Migranten ertrunken. Wieder einmal ist ein kleines Boot gekentert. Es ist ein Drama, das sich immer wieder mit trauriger Regelmäßigkeit im Mittelmeer vor der Küstenstadt Sfax abspielt.

Sfax ist rund 200 Kilometer von der italienischen Insel Lampedusa entfernt - der Sehnsuchtsort vieler Migranten, auch von Kadidja Abouba aus Kamerun: "Lampedusa wartet auf uns. Niemand hat mich unterstützt, ich habe nichts falsch gemacht. Es gibt keinen Schritt zurück. Wir sind nicht gekommen, um in Tunesien zu leben."

Wilde Camps - und auch die werden geräumt

So wie sie warten Migrantinnen und Migranten im Hinterland von Sfax in wilden Camps - Orte ohne Toiletten und unter Plastikplanen inmitten von Olivenbäumen. Doch die tunesischen Behörden haben viele dieser Camps seit April geräumt.

Amadou Sadio aus Guinea ist verzweifelt: "Wir haben keine Wahl! Wir wissen nicht, wo wir hin sollen. Selbst wenn wir freiwillig in unsere Heimat zurück wollen, stecken sie uns ins Gefängnis oder bringen uns in die Wüste."

Erst an die algerische Grenze gebracht...

Diese Angst ist durchaus begründet. Immer wieder gibt es Meldungen, wonach Tunesien Migranten in die Wüste an die Grenze zu Algerien bringt und sie dort aussetzt. Die Entscheidung, wer zurück müsse, sei absolut willkürlich, sagt Kerem Schamberger, Referent für Flucht und Migration bei der Menschenrechtsorganisation medico international: "Es findet nicht mal eine Auswahl statt, sondern es wird gesagt: Du bist schwarz, du kommst auf den Laster!"

Es gebe keine Prüfung, ob und welchen Flüchtlingsstatus die Betroffenen haben, ob sie Familie haben, ob eine Arbeitserlaubnis vorliegt, beklagt Schamberger. "Sie werden willkürlich zusammen gesammelt und dann zurückgeschickt." Und zwar ins algerische-tunesische Grenzgebiet.

Karte von Tunesien mit der Stadt Sfax, Algerien und Niger mit der Stadt Assamaka

Das habe laut Schamberger damit zu tun, dass Tunesien in der Zusammenarbeit mit der Europäischen Union seine Grenzen dicht gemacht habe. "Es wird mit europäischen Geldern die Polizei ausgebildet. Es wurden auch Drohnen geliefert, um jetzt die Abfahrten von Sfax zu überwachen." Deshalb könnten diese jetzt oft gestoppt werden, sodass immer mehr Abschiebungen in das algerische Grenzgebiet stattfinden.

...dann in der Wüste ausgesetzt

Das wiederum hat zur Folge, dass auch Algerien zu immer härteren Maßnahmen gegen Migranten greift. Oft werden sie auf Lastwagen gesetzt und hunderte Kilometer in Richtung Süden transportiert. Allein im April hat das Land 5.000 Menschen in der Wüste an der Grenze zu Niger ausgesetzt, viel mehr als in den Monaten davor, so Kerem Schamberger.

"Es gibt hier einen point zero, also ein Niemandsland zwischen diesen beiden Ländern. Dort werden die Menschen ausgesetzt - ohne Wasser, ohne Essen, ohne medizinische Versorgung", erklärt Schamberger. Dann müssten die Migrantinnen und Migranten auch noch 15 km durch die Wüste laufen, um in den Niger zu kommen - nach Assamaka.

Endstation Niger

Menschenrechtsorganisationen sprechen von katastrophalen Zuständen: Assamaka im Norden Nigers ist mit den vielen Migranten überfordert. Eine Folge der Kettenabschiebungen, die in Tunesien anfangen.

Romdhane Ben Amor, Sprecher des tunesischen Forums für wirtschaftliche und soziale Gerechtigkeit, sieht da auch die Europäische Union in der Verantwortung: "Natürlich verschließt die europäische Politik die Augen davor, was in den Olivenhainen in Sfax oder im Meer vor Tunesien passiert. Da gibt es eine enge Zusammenarbeit."

Die Europäische Union habe eine moralische und politische Mitverantwortung für das, was mit den Migranten in Tunesien geschieht, sagt er. Ein kleiner Lastwagen, mit dem eine Menschenrechtsorganisation aus Niger geschwächte Migranten aus der Wüste transportiert, ist da nur ein kleiner Tropfen auf den heißen Stein, um die Situation zu verbessern.

Anne Baier, ARD Rabat, tagesschau, 12.06.2025 12:14 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 12. Juni 2025 um 06:22 Uhr.